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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nun aber nicht länger verzeihen konnte. Finkler zog sein Mädchen an sich, damit es nicht sehen musste, was Treslove angerichtet hatte.
    »Geh«, sagte der Hausherr.
     
    Treslove brauchte lang, um sich von diesem Vorfall zu erholen. In seinen eigenen Augen war er dadurch als jemand gebrandmarkt, der nicht wusste, wie man Beziehungen zu Menschen knüpfte, insbesondere zu Frauen. Seither zögerte er, wenn man ihn zu Partys einlud. Und wenn er auf einer Fete einen Malkasten
oder Leute sah, die sich gegenseitig das Gesicht bemalten, zuckte er zusammen, wie manch einer beim Anblick von Spinnen zusammenzuckt.
    Der Gedanke, dass das Mädchen, dem er ein Clownsgesicht gemalt hatte, jene Judith sein könnte, die sich vor dem Schaufenster von J. P. Guivier an ihm gerächt hatte, war ihm natürlich längst durch den Kopf gegangen. Alles ging Treslove durch den Kopf. Wenn sie es aber wirklich gewesen war, musste sie sich im Lauf der Jahre sowohl in ihrer körperlichen Statur wie auch ihrem Wesen nach enorm verändert haben.
    Aber war es denn überhaupt wahrscheinlich, dass sie ihren Groll über ein Vierteljahrhundert gehegt und sich darüber hinaus davon auch noch hatte verleiten lassen, Tresloves Aufenthalt auszukundschaften und ihn auf den Straßen Londons aufzuspüren? Nein. Andererseits können die Folgen eines solchen Traumas unberechenbar sein. Hatte er mit seinem Malkasten also tatsächlich ein sanftes Wesen in ein wahnwitziges, gnadenloses Monster verwandelt?
    Seit er zu den Finklern gehörte, waren das rein akademische Fragen. Was geschehen war, war geschehen. Ihm fiel die Sache mit dem geschminkten Gesicht auch nur wieder ein, als Hephzibah ihn zu diesem Familiengeburtstag mitnahm, auf dem Malkästen vorgeholt wurden. Kinder schenkten Treslove normalerweise kaum Beachtung, sie nahmen ihn meist gar nicht wahr, dieses kleine Mädchen aber – den genauen Grad der verwandtschaftlichen Beziehung zu Hephzibah kannte er nicht, weshalb er annahm, dass es eine Großgroßnichte war (wenn nicht, konnte sie nur eine Großgroßtante sein) – dieses kleine Mädchen hatte ihn aus irgendeinem unerklärlichen Grund wahrgenommen.
    »Bist du Hephzibahs Mann?«, fragte sie.
    »In gewisser Weise«, antwortete er.
    »In gewisser Weise Ja oder Nein?«

    Treslove unterhielt sich ungern mit Kindern, da er nie wusste, ob er sie als eine sehr junge oder eine sehr alte Version seiner selbst anreden sollte. Da dieses Mädchen eine Finkler und folglich, wie er annahm, ungewöhnlich klug war für ihr Alter, entschied er sich für die sehr alte Version. »In gewisser Weise beides«, sagte er. »Ich bin ihr Mann in den Augen Gottes, wenn auch nicht in denen der Gesellschaft.«
    »Mein Daddy sagt, es gibt keinen Gott«, erklärte das kleine Mädchen.
    Und schon stieß Treslove an die Grenzen seines Umgangs mit Kindern. »Tja«, sagte er, »kannst du mal sehen.«
    »Du bist komisch«, erwiderte die Kleine. Sie wirkte auf eine Weise frühreif, die er nicht ganz fassen konnte. Fast schien sie mit ihm zu flirten. Ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, dass sie wie eine Erwachsene angezogen war. Dergleichen hatte er schon vorher an Finkler-Mädchen bemerkt. Ihre Mütter kleideten sie nach der neusten Erwachsenenmode, als wollten sie keine Gelegenheit verpassen, rechtzeitig einen Ehemann für sie zu ergattern.
    »Komisch? Wieso?«
    »Anders komisch.«
    »Ich verstehe«, sagte er. Meinte sie mit ›anders‹ nicht-finklerisch? War das selbst für ein Kind offensichtlich?
    In diesem Moment kam Hephzibah mit dem Malkasten zu ihnen. »Ihr beide scheint euch ja gut zu verstehen«, sagte sie.
    »Sie weiß, dass ich kein ›Unserer‹ bin«, sagte Treslove leise. »Sie hält mich für einen ›anderen‹. Das ist echt unheimlich.«
    Mit »Unserer« waren in Hephzibahs Familie Juden gemeint. Einer von uns. Ein »anderer« war einer von den Feinden, ein Fremder, ein Julian Treslove.
    »Blödsinn«, gab Hephzibah ebenso leise zurück.
    »Warum flüstert ihr?«, fragte das kleine Mädchen. »Mein Daddy sagt, Flüstern ist unhöflich.«

    Flüstern ist unhöflich, dachte Treslove, aber nicht, mit sieben eine verdammte Atheistin zu sein.
    »Ich weiß was«, sagte Hephzibah, »frag doch Julian nett, ob er dir nicht das Gesicht anmalt.«
    »Malst du mir das Gesicht an, Julian Nett?«, fragte das kleine Mädchen und amüsierte sich prächtig über ihren Witz.
    »Nein«, sagte Treslove.
    Dem kleinen Mädchen fiel die Kinnlade runter.
    »Julian!«, rief

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