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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Supremat einer Wahrheit zugestand, weil es Propaganda mit Kunst
verwechselte, weil es Volksverhetzung gleichkam, doch war Treslove es sich schuldig – um von seinen ungenügend beleidigten Freunden gar nicht erst zu reden –, dass er sich zu nichts aufhetzen ließ. Wenn er doch nur noch mal eine Sendung gestalten könnte, dann würde er mit Freuden die Söhne – wie das Stück in Insiderkreisen gewiss genannt wurde – um drei Uhr morgens mal so richtig in die Mangel nehmen.
    Tresloves Einsatz für Ehre und Wahrhaftigkeit.
    »Aber wollen Sie damit behaupten, der Zionismus sei gegen jede Kritik gefeit? Leugnen Sie etwa, was wir mit eigenen Augen am Fernsehschirm gesehen haben?«,würden ihn die BBC-Bosse bei der Programmbesprechung fragen, als sei er, Julian Treslove, Sohn eines melancholischen, freundlosen Zigarrenverkäufers etc., plötzlich zum Sprecher des Zionismus gekürt geworden oder als ließe sich die Wahrheit in gerade mal zehn Sekunden Newsnight erfassen oder als wäre die Menschheit nicht in der Lage, ein Unrecht anzugehen, ohne gleich das nächste in die Welt zu setzen.
    Er wusste, was er dachte. Er dachte, damit ist erst Schluss, wenn es zu einem neuen Holocaust kommt. Ihm war das klar, weil er außerhalb stand. Er konnte es sich leisten zu sehen, was sie – seine Freunde, die geliebte Frau – nicht zu sehen wagten. Man würde den Juden nie gestatten, sich woanders als dort zu entfalten, wo sie sich immer schon entfalten durften, an den Rändern, in den Konzerthallen und Banken. »Schluss, aus, Ende«, wie seine Söhne sagten. Was anderes wurde nicht toleriert. Ein tapferes Rückzugsgefecht angesichts unüberwindlicher Unterschiede war das eine, etwas ganz anderes aber alles, was Sieg oder Frieden gleichkam. Das könnten sie nicht ertragen – nicht die Muslime, denen der Jude eine Art irregeleiteter, feigherziger, stets in die Schranken zu weisender Bruder war, nicht die Christen, denen die Juden ein Gräuel waren, und auch nicht sie selbst, die sie sich schlichtweg einfach peinlich fanden.

    So lautete für Treslove das Ergebnis nach einem Jahr als adoptierter Fink ler, der er zumindest in seinen eigenen Augen, wenn auch vielleicht für niemanden sonst, gewesen war – sie hatten nicht die geringste Chance.
    Ebenso wenig wie er selbst.
     
    Das immerhin war ihnen allen gemeinsam, sie steckten im schtuck .
    »Im schtuck« war eine beliebte Redewendung seines Vaters gewesen, eines Mannes, der ansonsten eigentlich ohne Redewendungen ausgekommen war. Als sie Treslove kürzlich wieder einfiel, glaubte er, dass die Wendung aus dem Jiddischen stammte und ihr Gebrauch darauf hindeutete, dass sich etwas Jiddisches in ihm bemerkbar machte. Schtuck – das sah jiddisch aus, klang jiddisch, und es bedeutete irgendwas, eine Art klebrige Schweinerei, die sich nur im Jiddischen adäquat beschreiben ließ, doch fand er das Wort in keinem der jiddischen Wörterbücher des Museums. Ein Beweis für seine jüdische Herkunft blieb ihm nach wie vor verwehrt, doch in einem war er immerhin ein Jude – er steckte tief im schtuck.
    5
    Am schlimmsten, erinnerte sich Libor, waren die Vormittage. Für sie wie für ihn, doch dachte er vor allem an sie.
    Es wurde nie Friede mit den Vormittagen geschlossen; beiden fehlte, was man religiösen Glauben nennen konnte, beide sperrten sie sich gegen falschen Trost, doch gab es manchmal eine Stunde, in der es noch dämmerte und er an ihrer Seite lag, ihr das Haar streichelte oder ihre Hand hielt und nicht wusste, ob sie wach war oder schlief – er dachte an sie, nicht an sich –, eine Stunde, in der sie, schlafend oder wachend, hingenommen
zu haben schien, was hingenommen werden musste, und der Gedanke, wieder zu Erde zu werden oder gar zu nichts, wohl ihre stille Zustimmung gefunden hatte.
    Sie konnte ihn anlächeln mitten in der Nacht, wenn der Schmerz nachließ. Sie konnte ihm tief in die Augen schauen, ihn näher zu sich bitten und ihm ins Ohr flüstern, was er anfangs für eine zärtliche Erinnerung hielt, was sich aber als derbe Anspielung, gar als Anzüglichkeit erwies. Sie wollte ihn zum Lachen bringen, weil sie so oft zusammen gelacht hatten. In der ersten Zeit hatte er ihr immer wieder ein Lachen entlockt. Gelächter war sein kostbarstes Geschenk gewesen. Sein Geschick, sie zum Lachen zu bringen, war der Grund – einer der Gründe –, warum sie ihn Horowitz vorgezogen hatte. Und Gelächter hatte für sie keinen Widerstreit mit den sanfteren Gefühlen bedeutet. Sie

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