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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Hephzibah.
    »Ich kann das nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Lass es gut sein, ich kann’s einfach nicht.«
    »Nur weil du meinst, sie weiß, dass du keiner von ›Unserer‹ bist?«
    »So ein Quatsch. Ich male einfach nur keine Gesichter an.«
    »Mach’s mir zuliebe. Sieh doch, sie ist ganz traurig.«
    »Tut mir leid, wenn du traurig bist«, sagte er zu dem kleinen Mädchen. »Aber du kannst dich ebenso gut gleich dran gewöhnen, dass wir im Leben nicht immer alles bekommen, was wir haben wollen.«
    »Julian!«, rief Hephzibah erneut. »Du sollst nur ein Gesicht bemalen. Sie bittet dich doch nicht, ihr ein Haus zu kaufen.«
    »Sie«, erwiderte Treslove, »bittet mich um gar nichts, das tust nur du.«
    »Also erteilst du mir eine Lektion darüber, was wir vom Leben erwarten dürfen?«
    »Ich will niemandem eine Lektion erteilen; ich bemale nur kein Gesicht.«
    »Auch wenn zwei junge Frauen tief betrübt über deine Weigerung sind?«
    »Komm mir nicht so, Hep.«
    »Und du sei nicht so störrisch. Jetzt mal verdammt noch eins ihr Gesicht an.«

    »Nein. Wie oft muss ich das noch sagen? Nein. Gesicht bemalen ist bei mir nicht drin, okay?«
    Woraufhin er in einem Anfall von höchst unmännlicher Bockigkeit, wie Hephzibah sein Verhalten später nennen sollte, aus dem Raum und gleich darauf nach Hause stürmte. Als Hephzibah Stunden später heimkam, lag er mit dem Gesicht zur Wand auf ihrem Bett.
    Hephzibah war keine Frau, die zuließ, dass ein Schweigen sich lange ausbreitete. »Und? Worum ging es dabei nun wirklich? «, fragte sie.
    »Du weißt genau, worum es ging. Ich male kein Gesicht an.«
    Hephzibah hielt das für eine Art Code, der ihr sagen sollte, dass er eigentlich nichts mit ihrer Familie zu tun haben wollte.
    »Okay«, sagte sie, »aber dann hör bitte mit dieser Fantasterei auf, dass du uns alle so schrecklich toll findest.«
    Treslove nahm an, dass mit uns die Finkler gemeint waren.
    Er versprach ihr nicht, dass er aufhören würde, sagte aber ebenso wenig, dass sie sich mit ihrer Vermutung irrte.
    Es war ihm einfach alles zu viel – Kinder, Partys, Gesichtsbemalung, Familien, Finkler.
    Er hatte sich mehr vorgenommen, als er verkraften konnte.
    4
    Und doch war er mehr sie, als sie es waren, empfand mehr für sie und für das, wofür sie standen, als sie seiner Meinung nach für sich empfinden konnten. Er wollte nicht so weit gehen zu behaupten, dass sie ihn brauchten, aber eigentlich stimmte das doch, nicht wahr? Sie brauchten ihn.
    Er war wütend aus dem Theater gekommen. Wütend im Namen von Hephzibah, von Libor, von Finkler, was immer Finkler
auch von diesem Giftstück hielt oder zu halten vorgab. Ja, er war sogar bereit, wütend im Namen von Abe zu sein, dessen Klient den Holocaust mit einem Ferienlager verglich und sich erstaunt fragte, warum er, schnorchelnd im Mittelmeer, seine Stelle verloren hatte.
    Jemand musste empfinden, was er empfand, denn was empfanden sie ihrerseits? Nicht genug. Hephzibah wusste, wie wütend und untröstlich er war, zog es aber vor, dies zu ignorieren. Finkler hielt das Ganze für einen Witz. Libor hatte den Blick von allem und jedem abgewandt. Also blieb nur er allein übrig, Treslove, Sohn eines melancholischen, freundlosen Zigarrenverkäufers, der Geige gespielt hatte, wo ihn niemand hören konnte; Julian Treslove, ehemals Mitarbeiter der BBC, ehemals Kulturmanager, ehemals Liebhaber einer Reihe hoffnungslos magerer Mädchen mit zu vielen Leibchen und BHs, Vater eines Sandwich zubereitenden, verkappten Homosexuellen und eines Juden hassenden Gelegenheitspianisten; Julian Treslove, finklerphil und Möchte-gern-Finkler, nur dass die Finkler in ihrem ethno-religiösem Separatismus oder wie immer man das nennen sollte, nichts von ihm wissen wollten.
    Es war nicht einfach, Wut im Namen von Leuten zu fühlen, die sich einem selbst gegenüber genau so benahmen, wie sie sich, so der Vorwurf, auch gegenüber allen anderen Menschen benahmen, woran aber gerade jene Vorwürfe schuld waren, denen zufolge man in ihrem Namen Wut empfand. Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Treslove sah, wohin das führte und weigerte sich, dorthin zu gehen. Das Prinzip der Wahrheit – politischer wie künstlerischer Wahrheit – stand über persönlichem Verrat und persönlicher Enttäuschung. Söhne Abrahams war, wie so vieles andere, eine Travestie des dramatischen Gedankens, weil es dem Stück nicht gelang, sich Andersartigkeit auch nur vorzustellen, weil es der eigenen Selbstgerechtigkeit das

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