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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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seinem Vater nur zu verstehen geben, dass er sich dank seiner miserablen Kindheit nun selbst auf die Suche nach Prostituierten machen musste? Du warst so ein beschissener Dad, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als Trost bei Huren zu suchen.
    Treslove wünschte ihm die Pocken an den Hals. Dann nahm er den Wunsch gleich wieder zurück.
    All dies Jude-sein-Wollen, wenn er doch ein besserer Vater hätte sein sollen.

    Er kapierte nicht, wie man sich Trost von Huren erhoffen konnte. Er selbst hatte für beziehungsloses Verlangen nichts übrig. Und er sah keinen Grund zu der Annahme, dass es Finkler anders erging. Also war Finkler sich entweder selbst so fremd geworden, dass nicht abzusehen war, was er tat, es vielleicht sogar bei Hephzibah versuchte, oder er hatte den Annäherungsversuch bereits hinter sich, war zurückgewiesen worden und wandte sich nun den Prostituierten zu, wie Treslove sich der Oper zugewandt hatte.
    Falls er nicht bereits einen Annäherungsversuch gemacht hatte, der angenommen worden war, weshalb er sich nun den Prostituierten zuwandte, um a) sein Gewissen zu beruhigen oder um b) seinem Übermaß an glücklicher Zufriedenheit Ausdruck zu geben. Letzteres konnte Treslove verstehen: dass das Zusammensein mit einer zweiten Frau gleichsam die rauschhafte Folge der Eroberung der ersten war.
    Aber doch wohl kaum mit einer Prostituierten. Nicht nach Hephzibah.
    Treslove wollte nicht fühlen, was er empfand. Weder in Bezug auf seinen Freund, dem das Witwerdasein offensichtlich noch schwer zu schaffen machte, noch in Bezug auf Hephzibah, die wegen der bevorstehenden Museumseröffnung krank vor Sorge war und es Treslove gewiss nicht gedankt hätte, wenn er sie jetzt zu allem Überfluss auch noch unnötig mit unangebrachten Bedenken wegen eines möglichen Ehebruchs belastete. Noch in Bezug auf sich selbst. Er wollte glücklich sein. Und wenn schon nicht glücklich, dann zumindest glücklicher. Normal. Und wenn nicht normal, dann wenigstens normaler.
    Er konnte seinem eigenen Misstrauen nicht trauen. Eifersucht lag ihm nicht im Blut, und das war kein Selbstlob. Er versuchte sich in leidenschaftliche Gefühle gegen Finkler und Abe hineinzusteigern, gegen jeden, den Hephzibah im Museum sah, den Architekten, den Vorarbeiter, den Elektriker, den Mann, dem
aufgetragen wurde, das Schinkenfett von den Türgriffen abzuwischen, gar den Mann, der es aufgetragen hatte, doch brachte er weder anhaltende Wut noch Trauer zuwege. Was er zuwege brachte, war eher ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, das der Eifersucht zwar nahekam, aber eben nicht ganz. Eifersucht hätte ihn auf Hephzibah wütend gemacht, hätte ihn vielleicht sogar erregt, doch er fühlte sich nur einsam und zurückgewiesen.
    Es war, als wäre er ein Kind unter lauter Erwachsenen, nicht ungeliebt, aber doch unbeachtet. Im besten Fall bei Laune gehalten. Letztlich lief es darauf hinaus, dass er einfach nicht der wahre Jakob war. Er war nicht bloß kein Jude, nein, er war für die Juden ein Witz.
    Der wahre Jakob.
    Bestes Beispiel war Hephzibahs rätselhaft umfangreiche Familie. Jedes Mal, wenn sie ihn mitnahm, um ihm den zweiten Halbvetter einer Schwiegertante dritten Grades vorzustellen, stets umringt von Neffen und Nichten sowie den Kindern der Neffen und Nichten, die genauso aussahen wie die Meute beim letzten Familientreffen, fiel man über Treslove her, als wäre er gerade nackt umherirrend und sprachlos im Mata Atlântica aufgefunden worden, nur um der Erste zu sein, der ihm die Komplexitäten von Familienbeziehungen in der zivilisierten Welt erklärte, Informationen, die Treslove gewiss dankbar aufgenommen hätte, wären sie ihm nicht in einem Ton anvertraut worden, der besagte, dass jedes andere verwandtschaftliche Verhältnis als das, einziges Kind geschiedener, drogensüchtiger Eltern zu sein, offenkundig das Verständnisvermögen eines Nicht-Juden überstieg.
    In derselben Manier wurde ihm auch das Essen serviert, ihm geradezu aufgedrängt, als hätte er keine anständige Mahlzeit mehr erhalten, seit man ihn vor zwanzig Jahren unter den Wilden ausgesetzt hatte, weshalb er, außer Gras, auch kein Gericht benennen konnte und keinen Geschmack erkannte außer Kokosnuss.
»Vorsicht, das ist scharf!«, riefen sie, wenn er sich Meerrettich auf eine Scheibe Zunge löffelte, obwohl Matschbanane und zerdrückter Pfirsich, mit denen eines der Kleinkinder sein Gesicht verzierte, deutlich intensiver gewürzt waren. Gefolgt von: »Das ist Zunge, die mögen Sie

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