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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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sicher nicht; Zunge ist nicht jedermanns Sache.«
    Nicht jedermanns Sache? Wurden sie im selben Moment zu jedermann, in dem ihr Blick auf ihn fiel?
    Er wusste, es war nicht bös gemeint. Im Gegenteil. Und Hephzibah fand es ziemlich komisch, ging dann gern zu ihm und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. Aber es machte ihn mürbe. Es hörte nicht auf. Nie gab es einen Tag, an dem sie die Tür öffneten und sagten: »Julian, wie schön, dich zu sehen, komm herein, heute haben wir kein Essen und keine anderen Geheimnisse unserer Kultur, mit denen wir dich auf die Probe stellen wollen; und wir denken ebenso wenig unablässig daran, dass du ein Nicht-Jude bist, wie du unablässig daran denkst, dass wir Juden sind.«
    Für sie blieb er eine Kuriosität, stets ein wenig der Barbar, den man mit Perlen und Spiegeln zufriedenstellen musste. Er warf sich Undankbarkeit und Humorlosigkeit vor. Und jedes Mal, wenn er beleidigt reagierte, versprach er sich, beim nächsten Mal besser damit umzugehen. Er schaffte es nie. Sie ließen es nicht zu. Ließen ihn nicht zu sich vor.
    Und als sie es taten …
    3
    Die Sache mit dem geschminkten Gesicht.
    Während seiner Studentenzeit hatte Treslove einmal ein sehr schönes Hippiegirl kennengelernt, ein wahrhaft zartes Kind der Natur, ein Haschischmädchen in der Großmädchenversion eines
Kleinmädchennachthemdes. Er traf sie auf einer Gestalt-Nostalgieparty in East Sussex. Man tat, als wäre man die eigenen Eltern, wie man sie sich immer gewünscht hatte. Man tat es allerdings nicht nur, man war es auch, zumindest insofern, als man ein umweltpolitisches Programm verfolgte.
    Obwohl Treslove ein Seminar über Umweltverschmutzung und Umweltschutz besucht hatte, hing er selbst keinem ökologischen Programm an, freute sich aber, wenn andere Leute Umweltbewusstsein bewiesen. Das trug zu einer guten Party bei.
    Es war ein früher Sommerabend, und etwas Sanftes lag in der Luft. Man saß auf Kissen auf dem Boden und erzählte sich, was man voneinander hielt. Nur selten bekannte sich jemand zu etwas anderem als zu tiefer Zuneigung. Im Garten brannten Kerzen, Musik spielte, man küsste sich, schnitt Figuren aus buntem Papier, die in Bäume gehängt wurden, und bemalte sich gegenseitig das Gesicht.
    Treslove besaß nur wenig Begabung für Kunst irgendwelcher Art, für Gesichtsbemalung aber besaß er überhaupt keine. Das schöne Hippiegirl schwebte zu der Gartenbank, auf der er saß und einen Joint rauchte. Unter dem Kleinmädchenkleid konnte er ihre Großmädchenbrüste sehen. »Peace«, sagte er und hielt ihr den Spliff hin.
    Sie brachte Farben mit. »Mal mich an«, sagte sie.
    »Kann ich nicht«, sagte er. »Dafür fehlt mir die Begabung.«
    »Wir können alle malen«, erwiderte sie, kniete sich vor ihm hin und bot ihm ihr Gesicht dar. »Lass die Farben einfach fließen.«
    »Bei mir fließen keine Farben«, erklärte er. »Und ich weiß auch nie, was ich malen soll.«
    »Male mein Ich, wie du es siehst«, sagte sie, schloss die Augen und streifte ihr Haar zurück.
    Also malte Treslove einen Clown. Keinen eleganten oder tragischen Clown, keinen Pierrot und keine Pirouette, sondern
einen August mit absurd roter Nase und großen weißen, schwarz geränderten Flecken um den Mund und über den Augen, dazu puterrote Tüpfel auf den Wangen. Ein hingesudelter, hingekleckster Klacks von einem Clown.
    Sie weinte, als sie sah, was er mit ihr gemacht hatte. Der Hausherr bat ihn, die Party zu verlassen. Alle sahen ihn an. Sogar Finkler, der zum Wochenende aus Oxford gekommen und von Treslove zur Party mitgenommen worden war. Finkler hielt ein Mädchen im Arm, dessen Gesicht er mit schwebenden Gestalten im Stil Chagalls auf erlesene Weise bemalt hatte.
    »Was habe ich denn getan?«, wollte Treslove wissen.
    »Du hast mich zur Närrin gemacht«, antwortete das Mädchen.
    Um nichts in der Welt hatte Treslove sie zur Närrin machen wollen, denn ehrlich gesagt, er hatte sich beim Bemalen in sie verliebt. Ihm war einfach nur nichts anderes eingefallen als eine rote Nase, ein großer weißer Mund und puterrote Wangen.
    »Du hast mich gedemütigt«, weinte das Mädchen und schluchzte in ein Papiertaschentuch. Die sich mit der Gesichtsfarbe mischenden Tränen machten sie noch lächerlicher, als Treslove sie hatte aussehen lassen. Sie war außer sich vor Kummer.
    Hilfe suchend sah Treslove sich nach Finkler um, aber sein Freund schüttelte den Kopf wie jemand, der in der Vergangenheit unendliche Geduld bewiesen hatte, ihm

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