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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Schwefelgeruch, hatte Hephzibah immer geglaubt, die passende Begleiterscheinung für Schwanz und Hörner sowie schlüssiger Beweis dafür, dass die Juden freundlichen Umgang mit dem Teufel pflegten und die Hölle ihrem natürlichen Lebensraum entsprach. Eine Vitrine in Hephzibahs Museum widmete sich dem foetor judaicus sowie anderen abergläubischen Auffassungen der Christen über die Juden, die längst auf dem Abfallhaufen mittelalterlichen Hasses gelandet waren, eine Erinnerung daran, welch weiten Weg die Juden in diesem Land zurückgelegt hatten.
    Oder vielleicht doch nicht?
    Was, wenn der foetor judaicus gar nicht höllischen Ursprungs war? Was, wenn der Geruch, den die mittelalterlichen Christen an den gehörnten und beschwänzten Leibern der Juden wahrgenommen hatten, schlicht der Gestank ihrer Angst gewesen war?
    Falls dem so war – falls es Leute gab, die jemanden umbrachten, weil der Geruch der Angst sie erregte –, war dann das Konzept des Antisemitismus nicht selbst ein Aphrodisiakum, ein erotischer Anreiz zur Abscheu?
    Möglich. Antisemitismus. Sie hasste das Wort. Es hatte einen so medizinischen, antiseptischen Beiklang, als gehörte es ins Badschränkchen. Vor langer Zeit hatte sie geschworen, dieses Schränkchen nie mehr zu öffnen. Wer es bleiben lassen kann, schaue das Ding nicht an, wer das Wort meiden kann, nehme es nicht in den Mund. Antisemit, Antisemit, Antisemit – die unmelodische Abfolge tat ihren Ohren weh, die Abgedroschenheit beleidigte sie.

    Wenn es etwas gab, das sie den Antisemiten nicht verzieh, dann die Tatsache, dass sie sich gezwungen sah, sie Antisemiten zu nennen.
    Zwei Muslime, die auf dem Weg zur Regent’s Park Moschee stehen geblieben waren, um sich zu unterhalten, schauten sie auf eine Weise an, die sie unangenehm fand. Oder schaute sie die Männer auf eine Weise an, die diese unangenehm fanden? Hephzibah suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Die Männer gingen weiter. Auf der anderen Straßenseite sprach ein etwa neunzehnjähriger Junge in sein Handy. Verdächtig, wie er es hielt, dachte sie, es lag in seiner Hand, als gäbe er nur vor zu telefonieren. War es in Wahrheit eine Kamera?
    Ein Sprengzünder?
    2
    Treslove wollte mit Finkler einen Zeitpunkt für ein Treffen ausmachen. Es gab Dinge zu bereden. Wo war er? Wie ging es ihm? Und das Theaterstück. Schön und gut für Finkler, seine Witzchen zu reißen, aber dazu musste etwas gesagt werden. Vielleicht sollte man gar ein Gegenstück verfassen. Söhne Ismaels. Oder Kinder Jesu . Treslove wäre ja willens, sich selbst ans Werk zu machen, aber er war kein Schriftsteller. Außerdem wusste er nicht gut genug über das Thema Bescheid, wie er Hephzibah gestand, auch wenn das, da waren sie sich einig, die Autoren von Söhne Abrahams nicht vom Schreiben abgehalten hatte. Finkler dagegen war eine Ein-Mann-Wortfabrik. Und in Sachen Politik schien er letzthin sogar noch eloquenter und flüssiger geworden zu sein. Zumindest in irgendwas war er flüssiger geworden.
    »Verlass dich nicht drauf«, sagte Hephzibah, was Treslove auf dutzenderlei Weise deuten konnte, wenn auch auf keine, die ihn nicht beunruhigt hätte.

    Hephzibah war natürlich ein weiterer Grund, weshalb er sich mit Finkler treffen wollte.
    Dabei hatte er nicht vor, auf sie zu sprechen zu kommen. Aber Finkler vielleicht. Und ob er es tat oder nicht, der ein oder andere Satz oder Blick würde gewiss manches verraten.
    Und dann war da noch die Sache mit den Prostituierten. Er dachte nicht daran, seine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die ihn nichts angingen, oder irgendwelche Ratschläge zu erteilen, aber da er nun einmal Finklers Freund war und es Finkler offensichtlich nicht gut ging …
    Er erwischte ihn am Telefon. »Komm spielen«, sagte er.
    Aber Finkler war nicht in Stimmung. »Ich habe seit Kurzem«, antwortete er, »all meine Munterkeit verloren.«
    Darauf hatten sie schon zu Schulzeiten eine Standardantwort entwickelt.
    »Ich finde sie für dich.«
    »Nett von dir, doch bezweifle ich, dass du weißt, wo du suchen musst. Lass es uns auf ein andermal verschieben.«
    Er sagte nicht, dass er zu einer Prostituierten oder Online-Poker spielen wollte. Oder dass das, was er tatsächlich seit Kurzem verloren hatte, Geld war. Noch sagte er: »Und liebe Grüße an Hep.« War das von Bedeutung?
    Alfredos Prostituierten-SMS machte Treslove weiter zu schaffen. Nicht zuletzt wegen Alfredo. Warum dieser bissige Ton? Warum die Böswilligkeit? Oder wollte er

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