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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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einer Frau an einen Mann, falls nicht dergleichen früher schon mal an sie selbst gerichtet worden war, weshalb sie dieses Verlangen nun aus einer Laune bitterer, rachsüchtiger Ironie heraus erneut äußerte. »Die Juwelen – jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein!«
    Treslove hatte an der Universität einen Kurs zum Thema Patriarchat und Politik belegt und dabei oft den Satz gehört: »Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein.«
    Was aber, wenn er sich diese Worte nur aus obskurer maskuliner Schuld heraus zusammenreimte und sie in Wahrheit
»You’re Jules« gesagt hatte, »du bist Jules«, er also von ihr mit jenem Kosenamen angeredet worden war, den seine Mutter so geliebt hatte?
    Nun, auch dann bedurfte dies einiger Erklärungen, da ihm selbst schließlich kaum gesagt zu werden brauchte, wer er war.
    Vielleicht hatte sie ihn auf diese Weise gleichsam nur gebrandmarkt, um ihn wissen zu lassen, dass sie seine Identität kannte – »Du bist Jules, und glaub ja nicht, dass ich das je vergesse«.
    Dem aber wäre gewiss noch etwas gefolgt. Etwas war natürlich gefolgt, schließlich wurden ihm sämtliche Wertsachen abgenommen, aber hätte sie ihn dann, um ihre Genugtuung vollkommen zu machen, nicht ihrerseits wissen lassen wollen, wer sie war? »Du bist Jules, ich bin Juliette – verg iss mich nie wieder, du kleiner Scheißer.«
    Je mehr er darüber nachdachte, desto unsicherer war er sich, ob sie tatsächlich etwas in der Art wie »your« oder auch »you’re«, gesagt hatte. Es hatte abgehackter gek lungen. Eher wie ein you als ein »you’re«. Auch anklagender. Mehr wie »you Jules!« als »you’re Jules «!
    »Du Jules« wie in: »Du Jules, du!«
    Aber was sollte das bedeuten?
    Außerdem war ihm, als hätte sie gar kein »les« ausgesprochen. Im Nachhinein gab er sich alle Mühe, ein »les« zu hören, doch der Laut blieb unbestimmt. Hatte sie nicht viel eher »you Jule« gesagt? Oder doch »you jewel«?
    Wie aber passte es zusammen, dass man jemanden sein Schmuckstück nannte, um ihn dann auszurauben und ihm das Gesicht einzuschlagen?
    Gar nicht, fand Treslove.
    Was ihn zurück zu »you Jule«! brachte.
    Ebenso unerk lärlich.
    Es sei denn, sie hatte, als sie ihm die Taschen leerte, »You jew« gesagt, »du Jud!«.

ZWEI
    1
    »Was ist Ihre Lieblingsfarbe?« »Mozart.«
    »Und Ihr Sternzeichen?«
    »Meine was für Leichen?«
    »Sternzeichen. Sterne.«
    »Sterne? Ach so, nein, also mein Stern am Leinwandhimmel ist Jane Russell.«
    So hatte es angefangen, Libors erstes Rendezvous als Witwer.
    Rendezvous! Der reinste Witz – er an die neunzig, sie nicht halb, vielleicht nur ein Drittel so alt. Rendezvous! Aber was sollte man sonst dazu sagen?
    Sie schien den Namen Jane Russell nicht zu kennen. Libor fragte sich, woran es liegen mochte – an seinem Akzent, der mit den Jahren nicht besser, oder an seinem Gehör, das mit den Jahren schlechter geworden war. Dass Jane Russell schlicht vergessen sein könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.
    »R-u-s-s-e-l-l«, buchstabierte er. »J-a-n-e. Schöne, große…« Er tat, was Männer tun oder doch zu tun pflegten, und wog die Fülle weiblicher Brüste wie ein Kaufmann, der mit Mehlsäcken handelt.
    Das Mädchen, die junge Frau, das Kind schaute weg. Ihr Busen war kaum der Rede wert, bemerkte Libor, bestimmt hatte seine merkantile Geste sie beleidigt. Hätte sie allerdings mehr Busen gehabt, wäre sie womöglich noch beleidigter gewesen.
Was man bei einer Frau alles zu bedenken hatte, mit der man kein halbes Jahrhundert verheiratet war! Die Gefühle, auf die man Rücksicht nehmen musste!
    Ihn überkam große Trauer. Wie gern hätte er mit Malkie darüber gelacht. »Und dann habe ich …«
    »Libor! – Hast du nicht!«
    »Doch, hab ich.«
    Er sah, wie sie eine Hand an den Mund legte – die Ringe, die er ihr gekauft hatte, die vollen Lippen, die schwarze Mähne –, und wollte sie zurück oder wollte, dass es vorbei war, sein Rendezvous, seine Unbeholfenheit, seine Trauer, einfach alles.
    Libors Verabredung hieß Emily. Ein hübscher Name, wie er fand. Schade nur, dass sie beim World Service der BBC arbeitete. Dabei war die BBC der Grund, weshalb Freunde sie zusammengebracht hatten. Nicht, um über Gulasch und Knödel miteinander zu schäkern – österreichisch-ungarische Küche war seine Idee gewesen: Alte-Welt-Prasserei, die eventuelle Lücken in der Konversation aufsaugen konnte –, sondern um über jene Institution zu reden, die sie

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