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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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mit dem in London kulturelle wie kommerzielle Aktivitäten einander ablösten. Seinem Vater hatte hier ein Zigaretten- und Zigarrenladen gehört – Bernard Treslove: Rauchwaren – , deshalb kannte er die Gegend, die er seither in liebevoller Erinnerung hielt. Für ihn würde sie stets nach Zigarren riechen, ganz wie sein Vater. Schaufenster mit billigem Schmuck, grellbunten Handtaschen und Pashmina-Schals ließen ihn an so manche romantische Affäre denken. Und da er es nicht eilig hatte, nach Hause zu kommen, ging er ein Stück zurück und blieb stehen, wo er immer stehen blieb, wenn er in der Nähe war, direkt vor J.P. Guivier & Co., dem ältesten Geigenhändler und Instrumentenbauer des Landes. Tresloves Vater hatte Geige gespielt, er selbst spielte nicht. Sein Vater hatte ihm abgeraten. »Vergiss es«, hatte er gesagt, »das regt dich nur auf.«
    »Vergiss was?«
    Bernard Treslove, kahl, braun gebrannt, aufrecht wie ein Lot, blies seinem Sohn Zigarrenrauch ins Gesicht und tätschelte ihm liebevoll den Kopf. »Die Musik.«
    »Heißt das, ich kann auch kein Cello haben?« J. P. Guivier verkaufte wunderschöne Cellos.
    »Cellos machen sogar noch trauriger. Geh und spiel Fußball.«
    Julian ging, doch um romantische Romane zu lesen und sich Opern des neunzehnten Jahrhunderts anzuhören. Was seinem
Vater auch nicht gefiel, obwohl alle Bücher, die Treslove las, ebenso wie die Opern, die er sich anhörte, aus den Regalen seines Vaters stammten.
    Bernard Treslove ging nach diesem Wortwechsel auf sein Zimmer, um Geige zu spielen. Als wollte er seiner Familie kein schlechtes Beispiel geben. Hatte sich Treslove etwa nur eingebildet, seinen Vater beim Spielen in die Geige weinen zu hören?
    Deshalb also beherrschte Julian Treslove kein Instrument, obwohl er sich jedes Mal wünschte, es wäre anders, wenn er am Schaufenster von J. P. Guivier vorbeikam. Nach dem Tod seines Vaters hätte er natürlich ein Instrument lernen können. Libor begann schließlich noch mit über achtzig Jahren, Klavier zu spielen, aber Libor hatte auch jemanden, für den er spielen konnte, selbst wenn sie nicht mehr bei ihm war. Treslove dagegen …
     
    Der Überfall geschah, als er sich die Geigen ansah und seinen traurigen Erinnerungen nachhing. Ohne jede Vorwarnung packte ihn eine Hand im Nacken, so wie sich ein Katzenfänger auf dem Dach eine Edelkatze greift. Treslove zuckte zusammen und zog den Kopf zwischen die Schultern, genau wie es Katzen tun. Nur fuhr er weder Klauen aus, noch fauchte er oder wehrte sich sonstwie. Er kannte die Menschen der Straße, die Bettler, die Obdach- und Besitzlosen. Im Geiste war er einer von ihnen, denn wie ihnen drohte ihm auf den Straßen und Pflastern der Stadt Gefahr.
    Jahre zuvor, als er es auf eine schöne, unrasierte, Nasenring tragende Sozialarbeiterin abgesehen hatte, von der er glaubte, das Schicksal hätte ihm beschieden, mit ihr glücklich zu sein – oder unglücklich, darauf kam es nicht an, solange es nur das Schicksal so wollte –, hatte er in einer Zeit zwischen zwei Jobs den Obdachlosen Hilfe angeboten und sich für sie eingesetzt. Also erschlaffte er in den Händen des Angreifers und ließ zu, dass er gegen das Fenster gepresst und ausgeraubt wurde.
    Er ließ es zu?

    Die Worte beschönigten seine Rolle. Diese Angelegenheit war viel zu schnell vorbei, als dass er darin etwas zu sagen gehabt hätte. Er wurde gepackt, gepresst, ausgenommen.
    Von einer Frau.
     
    Aber das war noch längst nicht alles.
    Entscheidend war, was sie – wie er sich später zu erinnern meinte, als er über das Vorgefallene nachdachte – dabei zu ihm gesagt hatte. Gut möglich, dass er sich irrte. Der Angriff war zu schnell und plötzlich gekommen, als dass er noch wissen könnte, welche Worte gefallen waren, falls die Frau denn überhaupt etwas gesagt hatte. Er war sich nicht einmal sicher, ob ihm auch nur eine einzige Silbe über die Lippen gekommen war. Hatte er wirklich alles stillschweigend hingenommen, ohne ein »Lass mich los!«, ein »Was soll denn das?« oder bloß ein »Hilfe!«? Ebenso gut mochten die Worte, die sie seiner Ansicht nach gesagt hatte, nur das Geräusch seiner am Fenster brechenden Nase gewesen sein, die zerberstenden Knorpel, das Herz, das ihm in der Brust zu zerspringen drohte. Dennoch gab es da einen Wirrwarr von Lauten, der sich in seinem Kopf immer wieder neu zusammensetzte …
    »Your jewels!«, meinte er sie sagen zu hören, »deine Juwelen. «
    Was für eine merkwürdige Forderung von

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