Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Kellner, ehe er sich an seine Manieren erinnerte. »Sie möchten wirklich keinen Nachtisch, Emily?« fragte er, froh, sich an ihren Namen erinnern zu können.
Sie schüttelte den Kopf.
Er bezahlte die Rechnung.
Sie waren beide gleichermaßen erleichtert, als sie sich trennten.
2
»Ich könnte Gesellschaft gebrauchen, ertrag es aber nicht, mich darum zu kümmern«, erzählte er Treslove am Telefon.
Es war eine Woche nach ihrem Abendessen. Treslove hatte Libor nichts von dem Überfall erzählt. Warum ihn beunruhigen? Warum ihm Angst im eigenen Viertel machen?
Dabei war Libor der Letzte, der beschützt werden musste. Treslove fand seinen Mut erstaunlich – wie er sich herausputzte, zu Verabredungen ging, Smalltalk machte. Er sah ihn vor sich, angezogen wie David Niven mit schickem weißem Rollkragenpullover unter einem blauen, mit Militärknopfimitaten bestückten Blazer. Die meisten Männer in Libors Alter trugen kotzgrüne Tweedjacken und zu kurze Hosen. Das hatte Treslove schon immer amüsant gefunden, aber auch besorgniserregend. Ab einem gewissen Alter begannen Männer zu schrumpfen, aber genau zur selben Zeit wurden ihnen auch die Hosen zu kurz. Erkläre das, wer will.
Auf Libor aber traf das nicht zu. Zumindest nicht, wenn er sich aufbrezelte, um eine Freundin, eine Bekannte zu treffen. Da blieb er der mitteleuropäische Dandy. Nur am Telefon wirkte er so alt, wie er war. Als ob das Telefon herausfilterte, was
nicht zur Stimme gehörte – seine Komik, sein Draufgängertum, die tanzenden Hände, die Kehle nur mehr ein altes, zerrissenes Papiertuch. Wenn Treslove mit Libor telefonierte, sah er ihn vor sich, proper im Rollkragenpullover, doch der Klang seiner Stimme deprimierte ihn. Er hörte einen Toten reden.
»Ich wette, es war nicht so schlimm«, sagte er.
»Du warst nicht dabei. Außerdem war es unanständig.«
»Wieso? Was hast du gemacht?«
»Unschicklich, meine ich.«
»Wieso? Was hast du gemacht?«
»Ich meine, es war nicht richtig von mir, mich mit ihr zu treffen. Ich bin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hingegangen. Schließlich will ich gar nicht mit einer anderen Frau zusammen sein. Ich kann eine andere Frau nicht einmal anschauen, ohne Vergleiche zu ziehen.«
Als Malkie noch lebte, hatte Libor ihr Foto in seiner Brieftasche bei sich getragen. Jetzt, da sie nicht mehr war, hatte er ihr Bild auf seinem Handy. Zwar nutzte er den Apparat nur selten zum Telefonieren – es fiel ihm schwer, die Tasten zu entziffern – , doch holte er sich hundert Mal am Tag ihr Bild und flippte mitten im Gespräch immer wieder den Handydeckel auf und zu. Ein Geist, der ihn nie verließ, von der Technologie animiert, beziehungsweise, um genau zu sein, von Finkler, denn der hatte ihm das Handy eingerichtet.
Libor hatte Treslove das Foto gezeigt, nicht wie Malkie am Ende ihres Lebens gewesen war, sondern wie sie zu Beginn ihrer Zeit mit Libor aussah. Der lächelnde Blick, verschmitzt, verständnisvoll, schwärmerisch und leicht verschleiert, wie durch einen Nebel – falls es nicht Tresloves Augen waren, die ein Schleier überzog.
Treslove stellte sich vor, wie Libor unterm Tisch das Handy aufklappte und Malkie ansah, während er nach seinem Sternzeichen und seiner Lieblingsband gefragt wurde.
»Bestimmt hatte die Frau mit dir einen tollen Abend«, sagte Treslove.
»Glaub mir, den hatte sie nicht. Ich habe ihr zur Entschuldigung Blumen geschickt.«
»Aber Libor, dann wird sie doch nur glauben, dass es für dich nicht zu Ende ist.«
»Ach, ihr Engländer! Kaum seht ihr eine Blume, denkt ihr, man mache euch einen Antrag. Glaub mir, wird sie nicht. Ich habe eine handschriftliche Notiz beigelegt.«
»Du bist doch nicht aufdringlich geworden, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Sie sollte nur sehen, wie zittrig ich schreibe.«
»Vielleicht sah sie darin den Beweis dafür, wie sehr sie dich erregt hat.«
»Wohl kaum. Ich habe ihr geschrieben, dass ich impotent bin.«
»Musstest du gleich so persönlich werden?«
»Damit das Persönliche aufhört. Ich habe ja nicht behauptet, dass sie mich impotent macht.«
Treslove war dieses Gerede über Impotenz peinlich. Und das nicht nur, weil ihn gerade erst eine Frau in seinem Mannestum gekränkt hatte. Anders als offenbar Finkler-Männer war er es nicht gewohnt, über sexuelle Angelegenheiten mit jemandem zu reden, mit dem er keinen Sex hatte.
»Jedenfalls …«, begann er.
Libor aber schien seine Verlegenheit nicht zu bemerken. »Eigentlich bin ich gar
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