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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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beide kannten, darüber etwa, was sich seit Libors Tagen verändert hatte, oder ob Emily mit Leuten zusammenarbeitete, deren Eltern Libor gekannt hatte.
    »Nur, wenn sie keine von diesen eingebildeten Linken ist«, hatte Libor geantwortet.
    »Libor!«
    »Ich darf das sagen«, rechtfertigte er sich. »Ich bin Tscheche. Ich habe erlebt, was die Linken anrichten können. Und bei der BBC sind sie doch allesamt eingebildete Linke. Besonders die Frauen. Die jüdischen Frauen sind am schlimmsten. Ist ihre bevorzugte Methode, vom Glauben abzufallen. Die Hälfte der Frauen, mit denen Malkie aufwuchs, verschwand in der BBC. Erst haben sie ihr Gefühl fürs Lächerliche verloren, dann hat Malkie sie verloren.«

    Dass jüdische Frauen am schlimmsten sind, durfte er auch sagen. Er gehörte zu jenen, denen das erlaubt war.
    Zum Glück war Emily keine jüdische Linksintellektuelle. Leider war sie auch sonst nichts. Nur deprimiert. Hugh, ihr Freund, hatte sich vor zwei Jahren umgebracht. Warf sich vor einen Bus, während sie darauf wartete, dass er sie abholte. Vor dem Aldwych-Theater. Das war der zweite Grund, weshalb Freunde sie zusammengebracht hatten – nicht mit dem Hintergedanken an was Romantisches, sondern in der Hoffnung, sie würden sich für eine Weile gegenseitig aufmuntern. Was die beiden anging – Emily und Hugh –, fühlte Libor sich Hugh allerdings deutlich näher, tot unter einem Bus.
    »Welche Bands mögen Sie?«, fragte sie nach einem längeren Schweigen, das selbst die Knödel irgendwann nicht mehr erträglich machten.
    Libor dachte über ihre Frage nach.
    Das Mädchen lachte, als fände sie sich selbst absurd, und zwirbelte eine matte Strähne um einen Finger, an dem ein Heftpflaster klebte. »Welche Bands haben Sie früher gemocht«, korrigierte sie sich und errötete dann, als ahnte sie, dass die zweite Frage noch absurder als die erste klang.
    Libor hielt ihr sein Ohr hin und nickte. »Prinzipiell halte ich nicht viel davon, überhaupt irgendetwas zu verbieten«, sagte er.
    Sie starrte ihn an.
    Oh Gott, fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, bestimmt erwartet sie, dass ich gegen Fuchsjagden bin, gegen Startbahnen, Tierexperimente und elektrische Glühbirnen. Doch es brachte nichts, mit einer Lüge anzufangen – auch wenn das mit ihnen sowieso nichts werden würde.
    »Allradantrieb«, sagte er. »Den Buchstaben H verschlucken – bei mir ist das was Kulturelles –, Zuhöreranrufe beim Radio, Sozialismus, Turnschuhe, Russland, aber auf keinen Fall Pelzmäntel. Hätten Sie Malkie in ihrem Chinchilla gesehen …«

    Sie starrte ihn immer noch an. Er hatte Angst, sie würde gleich in Tränen ausbrechen.
    »Nein, Bands «, sagte sie schließlich. »Bands, keine bans , keine Verbote.«
    Libor entschied sich dagegen, die tschechischen Philharmoniker zu nennen, seufzte und zeigte ihr seine Hände. Die von Leberflecken entstellte Haut hing so labbrig daran herab wie von einem leicht angebratenen Hühnchen. Die Knöchel waren geschwollen, die Fingernägel gelb, die Spitzen krumm.
    Dann fuhr er sich mit den Händen über den kahlen Kopf und senkte den Schädel. Er hatte schon immer zu schütterem Haar geneigt. Das stand ihm. Mittlerweile aber war er von der Zeit kahl gerupft und mit der Patina hohen Alters überzogen worden. Er wollte, dass Emily ihr Spiegelbild in seiner Platte sah, im stumpfen Spiegel seines Alters all die Zeit ermaß, die ihr noch blieb.
    Libor spürte, dass sie nicht begriff, was er ihr zeigen wollte. Wenn er Malkie seinen kahlen Kopf hingehalten hatte, war sie stets mit dem Ärmel darübergefahren, wie um ihn zu polieren.
    Sie fand es erregend. Nicht nur den Glatzkopf, auch das Polieren.
    Ihre Wohnung war im Biedermeierstil eingerichtet. Libors Geschmack, nicht Malkies (obwohl Biedermeierblut in ihren Adern floss), doch hatte sie den europäischen Möchtegernkleinbürger in ihm gewähren lassen. »Erinnert mich an unsere Kommode«, sagte sie oft. »Die brauchte auch immer etwas Politur und einen kräftigen Knuff, damit die Schubladen aufsprangen.«
    Es amüsierte ihn, ihr Möbelstück zu sein. »Nun, wenn du meinen Schädel wienerst, kannst du bei mir jederzeit an die Wäsche«, antwortete er dann. Und sie lachte und versetzte ihm mit dem Ärmel einen leichten Klaps. Zum Ende hin gaben sie sich gern vulgär. So schützten sie sich gegen zu viel Pathetik.

    »Tut mir leid«, sagte er dem Mädchen und faltete die Serviette. »Das hier ist Ihnen gegenüber einfach nicht fair.«
    Er winkte dem

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