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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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sie nicht mehr sein konnte, nicht die Malkie, die sie war.«
    Finkler hörte zu. Malkie war achtzig, als sie starb. Wie viel Leben konnte sich Libor denn noch für sie vorstellen? Tyler war nicht einmal fünfzig geworden. Warum fühlte er also nicht, was Libor fühlte? Obwohl er davon überzeugt war, mit einem neidlosen Charakter gesegnet zu sein – worauf sollte er schließlich und endlich denn auch neidisch sein? –, war er jetzt dennoch neidisch, nicht auf das längere Leben, das Malkie genießen durfte, sondern auf das Ausmaß von Libors Trauer. Im Gegensatz zu Libor misslang es ihm, seine Trauer in die Zukunft zu verlängern. Ihm fehlte nicht die Tyler, die es nie gegeben hatte, nur die Tyler, die gewesen war.
    Er verglich seinen Wert als Ehemann mit dem des alten Mannes. Scherzhaft, gewiss, aber auch mit ernstem Unterton hatte Libor immer erklärt, er sei der perfekte Ehemann gewesen, hatte er es doch ausgeschlagen, das Bett mit einigen der schönsten Frauen Hollywoods zu teilen. »Die wollten mich nicht, weil ich so hübsch bin, verstehst du, sondern weil ich sie zum Lachen brachte. Je schöner die Frau, desto mehr liegt ihr daran, zum Lachen gebracht zu werden. Deshalb sind jüdische Männer so gefragt. Mir fiel es allerdings nicht schwer, den Schönen zu widerstehen, da ich Malkie hatte, und Malkie war schöner als sie alle zusammen. Außerdem hat sie mich zum Lachen gebracht.«
    Wer wusste schon, was wahr daran war?
    Libor erzählte, wie Marilyn Monroe – die sich verzweifelt nach heiterem Gelächter sehnte, aber bekanntermaßen auf Kriegsfuß
mit internationalen Zeitzonen stand (in Libors Geschichten wussten die schönen Frauen nie, wie spät es war) – mitten in der Nacht anzurufen pflegte. Malkie nahm den Hörer ab. Der Apparat stand an ihrer Bettseite. »Marilyn für dich«, sagte sie dann in gelangweiltem, verschlafenem Ton und weckte ihren Mann. Mist, schon wieder diese Marilyn.
    Sie zweifelte nie an seiner Treue, in der sie sich so geborgen fühlte. Erklärte diese Treue – eine Treue ohne Reue, ohne Abstriche, wie Libor versicherte, eine randvoll mit sinnlichen Freuden gefüllte Treue –, warum Libor kein Bedauern kannte? Wenn Finkler an seine Frau dachte, überkamen ihn Schuldgefühle, und seine Schuld existierte allein in der Vergangenheit. Libor dagegen konnte, sofern er denn die Wahrheit sagte, frei von Schuldgefühlen um jene Zukunft trauern, die Malkie und er trotz ihres hohen Alters nicht erlebt hatten. In jedem Alter aber gibt es Zukunft, die man nicht hat. War man glücklich, gab es nie genug Leben, das eben war das Problem. Und nie ist die Glückseligkeit so groß, dass man nicht noch ein wenig mehr vertragen könnte. Trauer gegen Trauer, Finkler wusste nicht, was vorzuziehen war, falls man Trauer denn überhaupt vergleichen konnte: betrogen um Glück, das man noch hätte genießen können – oder dieses Glück gar nicht erst erleben. Allem Anschein nach hatte Libor die bessere Wahl getroffen.
    Und das vielleicht deshalb, weil es besser war, mit Malkie verheiratet gewesen zu sein. Finkler versuchte, sich diesen Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, was ihm aber nicht gelang: Zur Treue gehören zwei, und auch wenn er keineswegs behaupten wollte, seine Frau hätte seine Treue nicht verdient gehabt, war es mit Tyler doch nicht gerade einfach gewesen. Misslang es ihm deshalb, sich um eine Zukunft mit ihr betrogen zu fühlen? Weil er nie sicher gewusst hatte, ob sie eine haben würden? Und wessen Schuld war das?

    »Fragst du dich manchmal«, sinnierte er beim Essen, »ob du es richtig machst?«
    »Was? Das Trauern?«
    »Nein, na ja, nicht bloß das Trauern. Alles. Wachst du morgens manchmal auf und fragst dich, ob du das beste Leben gelebt hast, das dir möglich war? Nicht im moralischen Sinne. Jedenfalls nicht nur. Einfach, ob du das meiste aus den Gelegenheiten herausgeholt hast, die sich dir geboten haben.«
    »Mich überrascht, dass diese Frage ausgerechnet von dir kommt«, sagte Libor. »Sicher, ich habe dich als gescheiten Schüler in Erinnerung, aber gescheite Schüler gibt es viele, und ich hätte nie gedacht, dass du es mal so weit bringst.«
    »Du meinst, ich habe es mit wenig überraschend weit gebracht?«
    »Nein, gar nicht, aber in meinen Augen hast du mehr aus dir gemacht als die meisten Menschen. Dein Name ist in aller Munde …«
    Geschmeichelt wischte Finkler das Kompliment beiseite. Wem lag schon daran, in aller Munde zu sein? Die zufriedene Röte verriet vermutlich gar

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