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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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bedauere es jetzt schon.«
    »Dann komm und genieße. Wenn du nicht kommst, kommt wer anderes, der wissen will, was ich für ein Sternzeichen bin.«
    »Ich will es ja wissen, Libor, nur nicht gerade heute Abend.«
    Er hatte ein schlechtes Gewissen. Man lehnte die verzweifelte Bitte eines einsamen, impotenten alten Mannes nicht ab.
    Doch er musste sich um seine eigene Impotenz kümmern.
    3
    Finkler, der nie träumte, hatte einen Traum. Er träumte, er boxe seinen Vater in den Bauch.
    Seine Mutter schrie, er solle aufhören, aber sein Vater lachte bloß und rief: »Fester!«
    »Los den Jungen alejn«, sagte er zu seiner Frau, was falsches Jiddisch war für: »Lass den Jungen in Ruhe.«

    Wenn er in Wirklichkeit von seinem Vater in falschem Jiddisch angesprochen worden war, hatte Finkler ihm den Rücken zugedreht. Warum er, ein an einer englischen Universität ausgebildeter Mann mit ansonsten sanfter Stimme – ein gebildeter Mensch mit felsenfesten religiösen Ansichten –, sich in seinem Laden derart zum Hanswurst machen, warum er mit den Händen fuchteln und in einem Bauerndialekt herumpoltern musste, konnte Finkler nicht verstehen. Es gab Menschen, die liebten seinen Vater wegen dieses Theaters jüdischer Erregbarkeit, Finkler nicht. Er musste dann gehen.
    Im Traum aber ging er nicht. Im Traum sammelte er all seine Kraft und versetzte seinem Vater Hieb um Hieb in den Magen.
    Als der Bauch platzte, wurde Finkler wach. Kaum sah er den Krebs in einem Meer aus Blut auf sich zutreiben, konnte er nicht weiterträumen.
     
    Finkler war nicht minder überrascht, als Libor anrief. Wie Treslove fand er es beunruhigend, dass Libor zweimal in der Woche Gesellschaft brauchte. Allerdings konnte er seinem Freund zu Diensten sein. Vielleicht, weil er selbst auch zweimal in der Woche Gesellschaft brauchte.
    »Komm zu mir«, sagte er. »Ich bestell Chinesisch.«
    »Seit wann kannst du Chinesisch?«
    »Wie witzig, Libor. Sei um acht hier.«
    »Und du bist dir sicher, dass das für dich in Ordnung geht?«
    »Ich bin Philosoph, ich bin mir in gar nichts sicher. Aber komm trotzdem. Nur bring keinen Sanhedrin mit.«
    Der Sanhedrin war im alten Lande Israel der Richter gewesen. Und Finkler hatte keine Lust auf ein Gespräch über Israjel. Nicht mit Libor.
    »Kein Wort, versprochen«, sagte Libor. »Allerdings nur unter der Bedingung, dass nicht deine Nazi-Freunde kommen und mir mein Hühnchen in schwarzer Bohnensoße wegnehmen. Du
weißt doch noch, dass ich Hühnchen in schwarzer Bohnensoße mag?«
    »Ich habe keine Nazi-Freunde, Libor.«
    »Mir egal, wie du sie nennst.«
    Finkler seufzte. »Es werden nur wir beide hier sein, komm um acht. Ich lass uns Hühnchen mit Cashewnüssen bringen.«
    »Mit schwarzer Bohnensoße.«
    »Egal.«
    Er deckte für zwei, legte antike Hornstäbchen bereit. Eines der letzten Geschenke für seine Frau, bislang unbenutzt. Es war riskant, aber das Risiko ging er ein.
    »Wie schön«, bemerkte Libor feinfühlig von Witwer zu Witwer.
    »Entweder werfe ich sie weg, was ich nicht übers Herz brächte, oder ich benutze sie. Es hat schließlich keinen Sinn, ein Mausoleum unbenutzter Dinge zu errichten. Tyler hätte gesagt: Benutze sie.«
    »Mit Kleidern nicht ganz so einfach«, erwiderte Libor.
    Finkler lachte ein lustloses Lachen.
    »Was hat es nur mit Kleidern auf sich, die eine Frau nie getragen hat?«, fragte Libor. »Man sollte doch glauben, dass man es unerträglich findet, Kleider zu berühren, in denen noch die Erinnerung an ihre Figur, an ihre Wärme hängt, denen ihr Parfüm anhaftet, dabei ist es mit den ungetragenen viel schlimmer.«
    »Versteht sich das nicht von selbst?«, fragte Finkler. »Siehst du ein Kleid, das Malkie nie getragen hat, siehst du sie selbst darin lebendig und wie neu.«
    Libor wirkte nicht überzeugt. »Das klingt mir zu rückwärtsgewandt. «
    »Uns ist es erlaubt, rückwärts zu schauen.«
    »Ach, das weiß ich doch; ich tue ja nichts anderes. Seit Malkie von mir ging, ist mir, als säße mir der Kopf falsch herum auf den Schultern. Deine Erklärung für das Traurige in ungenutzten
Dingen finde ich trotzdem zu rückwärtsgewandt. Sehe ich eines der ungetragenen Kleider, von denen Malkie so viele hatte – sie hob sie für besondere Gelegenheiten auf, die niemals kamen, manche noch mit Preisschild, als wollte sie die Sachen eventuell zurückbringen –, dann sehe ich die Zeit vor mir, die ihr gestohlen wurde. Ich blicke auf das Leben, das sie nicht mehr hatte, sehe die Malkie, die

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