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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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keine Zufriedenheit, sondern Verlegenheit. In aller Munde – du meine Güte. In aller Munde! In wie vielen Mündern, überlegte er, war denn wohl gerade sein Name? Und wie vielen Mündern musste sein Name über die Lippen gehen, damit er in aller Munde war?
    »Denk nur an Julian«, fuhr Libor fort, »und daran, wie enttäuschend er sein Leben finden muss.«
    Finkler tat wie geheißen und dachte darüber nach. Die zwei Farbflecke auf seinen Wangen, groß wie Zehn-Pence-Stücke, wuchsen sich zu flammend hellen Sonnen aus.
    »Na ja, Julian ist doch immer schon im Wartezustand gewesen, oder nicht? Ich dagegen habe nie etwas anbrennen lassen. Ich greife zu. Ich hatte dieses Jüdische an mir. Genau wie du. Ich musste schnell sein, solange die Gelegenheit günstig war. Was
aber nur heißt, dass ich tat, wozu ich fähig war, wohingegen Julian … tja, seine Zeit kommt vielleicht noch.«
    »Und das macht dir Angst?«
    »Mir? Wieso?«
    »Du fürchtest, dass er dich am Ende überholt. Schließlich seid ihr enge Freunde. Und enge Freunde hören nie auf zu fürchten, dass sie auf den letzten Metern geschlagen werden könnten. Mit einem Freund ist es erst vorbei, wenn es vorbei ist.«
    »Und du, Libor? Wer, fürchtest du, könnte dich überholen?«
    »Ach, für mich ist es wirklich vorbei. Meine Rivalen sind längst tot.«
    »Tja, und Julian ist mir nicht gerade dicht auf den Fersen, oder?«
    Libor musterte ihn aufmerksam, wie eine alte, rotäugige Krähe eine leichte Beute mustert.
    »Du meinst, es wird kaum dazu kommen, dass sein Name bald in aller Munde ist? Nein, das wohl nicht, aber es gibt andere Erfolgsmaßstäbe.«
    »Du meine Güte, daran zweifle ich nicht.« Er schwieg einen Moment, um über Libors Worte nachzudenken. Andere Maßstäbe, andere Maßstäbe … Ihm fiel nur keiner ein.
    Libor fragte sich, ob er zu weit gegangen war, da ihm einfiel, wie empfindlich er in Finklers Alter auf Fragen nach seinem Erfolg reagiert hatte. Also beschloss er, das Thema zu wechseln, und bewunderte erneut die Essstäbchen, die Finkler seiner Frau gekauft hatte. »Die sind wirklich schön«, sagte er.
    »Tyler hat öfter davon geredet, Essstäbchen sammeln zu wollen, hat es aber nie getan. Sie nahm sich öfter vor, Dinge zu sammeln, es kam aber nie dazu. Was für einen Sinn hätte das, fragte sie. Für mich war das eine Beleidigung. Als ob unser Leben nicht lohnte, etwas dafür zu sammeln. Kann sie geahnt haben, was ihr bevorstand, was meinst du? Hat sie gewollt, dass es so kommt?«

    Libor wandte den Blick ab. Plötzlich bedauerte er, hergekommen zu sein. Er konnte zur eigenen Trauer nicht auch noch die Trauer eines anderen Mannes um dessen Frau ertragen. »Das können wir nicht wissen«, sagte er. »Wir wissen nur, was wir fühlen. Und da wir die Hinterbliebenen sind, zählt nichts außer unseren Gefühlen. Reden wir lieber über Isrrrrae.« Er fügte ein viertes R hinzu, um den Freund zu ärgern und ihm aus seinem Selbstmitleid herauszuhelfen.
    »Libor! Du hast es versprochen!«
    »Na gut, dann über Antisemiten. Habe ich auch versprochen, nicht über deine Freunde zu reden? Die Antisemiten?«
    Die komisch jüdische Intonation sollte Finkler zusätzlich aufstacheln. Libor wusste, wie sehr Finkler Judaismen verabscheute. Mauscheln nannte er die verhasste Geheimsprache der Juden, dieses Jiddeln, das deutsche Juden auf die Palme brachte, damals, in jenen Tagen, als sie glaubten, je stärker sie ihr Judentum verdrängten, desto mehr würden sie von den Deutschen geliebt. Die traurige, übertriebene Expressivität seines sich bäurisch gebärdenden Vaters.
    »Ich habe keine antisemitischen Freunde«, erwiderte Finkler.
    Libor verzog das Gesicht, bis es der Fratze eines mittelalterlichen Teufels glich. Ihm fehlten nur noch die Hörner. »Doch, hast du wohl. All deine jüdischen Freunde.«
    »Oh Mann, das schon wieder. Jeder Jude, der nicht deine Art Jude ist, ist ein Antisemit. Was für ein Blödsinn, Libor, dieses Gerede vom jüdischen Antisemitismus. Mehr als Blödsinn, das ist böse.«
    »Werd mal nicht kochedik , nur weil ich die Wahrheit sage. Wie kann es Blödsinn sein, wenn wir doch den Antisemitismus erfunden haben?«
    »Ich weiß genau, wie das läuft, Libor. Aus unserem eigenen Selbsthass …«

    »Du glaubst, so etwas gibt es nicht? Was sagst du dann zum heiligen Paulus, den das Judentum derart genervt hat, dass er erst Ruhe gab, als er die halbe Welt dagegen aufgebracht hatte?«
    »Ich sage besten Dank auch, Paulus, du hast

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