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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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An den Lippen kälter. Und eben das machte den Unterschied aus, die Temperatur. Libor und Malkie – sogar die arme tote Malkie – wurden irgendwie von ihrem Verwurzeltsein in hitziger Geschichte erwärmt. Treslove kam sich dagegen so vor, als sei ihm von klein auf beigebracht worden, nur an der Oberfläche des Lebens zu existieren, fast wie Gemüse, das über der Erde wächst, dort, wo es eisig werden kann.
    Libor lächelte ihn an. »Jetzt, da du ein Jude bist, könntest du zum Abendessen kommen«, sagte er. »Komm nächste Woche – aber ohne Sam –, und ich stelle dich ein paar Leuten vor, die sich freuen werden, dich kennenzulernen.«
    »Das klingt ja richtig unheimlich. Ein paar Leute. Was denn für Leute? Wächter des jüdischen Glaubens, die meine Referenzen unter die Lupe nehmen? Mit Referenzen kann ich nicht dienen. Und warum hätten sie sich nicht gefreut, mich kennenzulernen, ehe ich Jude wurde?«
    »Gut so, Julian. Kratzbürstig werden ist ein gutes Zeichen. Man kann nicht Jude sein, wenn man nicht ein bisschen kratzbürstig ist.«
    »Weißt du was? Ich komme, wenn ich die Frau mitbringen kann, die mich überfallen hat. Sie ist meine Referenz.«
    Libor zuckte die Achseln. »Suche sie und bring sie her.«

    Aus seinem Mund klang es so unwahrscheinlich, als hätte Treslove davon geredet, Gott finden zu wollen.
     
    Da war noch eine Kleinigkeit, die Treslove beunruhigte, als er im Bett lag und den Faden suchte, an dem entlang er sich in den Schlaf hangeln konnte: Libors Geschichte über Heifetz in der Royal Albert Hall … War das in seiner – er suchte nach dem passenden Wort – Exquisitheit, Exquisität, seiner ach-so-jüdischen Kulturbeflissenheit nicht ein bisschen sehr nah an Libors Geschichte von Malkie und Horowitz in der Carnegie Hall?
    Durchaus denkbar, dass beide stimmten, dennoch fand er das Echo, war es einem erst einmal bewusst geworden, ein wenig verstörend.
    Was aber Familienmythologien anbelangte, waren beide Geschichten, ob sie nun stimmten oder nicht, beneidenswert weit oben angesiedelt. Schließlich hatte Malkie nicht Elvis Presley Maestro genannt, sondern Horowitz. Als Egon Slick war Libor sein halbes Leben lang mit Stars und Sternchen auf Tuchfühlung gewesen, wenn es aber hart auf hart kam, wenn es galt, jemanden zu beeindrucken, dann zog er, ohne rot zu werden, seine Karten aus einem anderen Stapel. Dann behauptete er nicht, ein Vetter von Liza Minnelli oder Madonna zu sein, nein, dann war es Heifetz. Man musste schon ziemlichen Wert auf intellektuelles Muskelspiel legen, wenn man Horowitz und Heifetz zur Party einlud. Und wer konnte sich intellektuell so kraftvoll gebärden wie die Finkler, wenn sie intellektuell herumprotzen wollten?
    Tja, das musste man ihnen lassen … sie waren dreist, sie hatten Chuzpe, wenn auch eine Chuzpe, die auf einer sehr kultivierten, musikalischen Erziehung fußte.
    Treslove hatte seinen Faden gefunden und fiel in einen tiefen Schlaf.
    3
    Auch wenn es zwischen den Familien Finkler und Treslove kaum Verkehr gegeben hatte – sah man einmal vom Verkehr zwischen Tyler Finkler und Julian Treslove ab –, waren sich die Finkler-Söhne und Treslovesöhne gelegentlich doch begegnet; durch seine Bücher und Fernsehsendungen kannten Alfredo und Rodolfo Finkler gut genug, um Gefallen an dem Gedanken zu finden, dass er ihr berühmter Onkel Sam war. Ob Sam seinerseits Gefallen daran fand, in den beiden Jungen seine charmanten Neffen Alf und Ralph zu sehen, stand auf einem ganz anderen Blatt. Treslove nahm jedenfalls an, dass er keine Ahnung hatte, wer die beiden eigentlich waren.
    Darin, wie in so vielen Dingen, ob sie nun in Bezug zu Finkler standen oder nicht, irrte Treslove. Er selbst war es, der keine Ahnung hatte, wer seine Söhne eigentlich waren.
    Finkler dagegen wusste ziemlich gut Bescheid über die Söhne seines alten Freundes und fühlte sich ihnen sogar herzlich zugetan, wenn auch vielleicht nur deshalb, weil er in Sachen Vaterschaft und Onkeltum ebenso Tresloves Rivale war wie in allem anderen auch und folglich als jemand angesehen werden wollte, der den Jungen ein wenig von dem gab, was ihnen ihr echter Vater vorenthalten hatte. Für sie wollte er jemand sein, der gab, um wiedergutzumachen und um ihnen zu höheren Wertmaßstäben zu verhelfen. Alf kannte er besser als Ralph, was sich einem Vorfall im Grand Hotel in Eastbourne verdankte, bei dem es im Wesentlichen darum gegangen war, dass Finkler erwartet hatte, im Grand einen verlässlich

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