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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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immer noch mit dem herum?‹ Kannst du mir das erklären?«
    »Kein Problem. Er war Antisemit.«
    »Wenn er Antisemit gewesen wäre, Libor, dann wäre Jude das einzige Wort gewesen, das ich gehört hätte.«
    »Und deine Mutter? Wenn du einer bist, dann nur durch sie.«
    »Meine Güte, Libor, bis vor fünf Minuten war ich noch ein Goi, und jetzt behauptest du, dass ich Jude nur auf dem richtigen Weg werden kann. Willst du nicht gleich noch nachsehen, ob ich beschnitten bin? Ich habe keine Ahnung, ob meine Mutter Jüdin war. Ich weiß nur, dass sie nicht jüdisch aussah.«
    »Du siehst auch nicht gerade jüdisch aus, Julian. Tut mir leid, das soll keine Beleidigung sein, aber du bist der am wenigsten jüdisch aussehende Mensch, den ich je kennengelernt habe, und ich habe schwedische Cowboys kennengelernt, Eskimo-Stuntmen, preußische Regisseure und polnische Nazis, die als Kulissenschieber in Alaska geschuftet haben. Ich würde mein Leben darauf verwetten, dass sich noch nie irgendwelche jüdischen Gene mit den Genen eines Mitglieds deiner Familie gekreuzt haben, zumindest nicht in den letzten zehntausend Jahren, und vor zehntausend Jahren gab es noch keine Juden. Sei froh. Ein Mensch kann durchaus ein gutes, glückliches Leben führen, ohne Jude zu sein.« Er schwieg. »Sieh dir Sam Finkler an.«
    Da brachen sie beide in ein wildes, lästerliches Gelächter aus.
    »Sind wir gemein«, keuchte Treslove schließlich, schenkte sich noch einmal ein und schlug sich an die Brust. »Aber das bestätigt ja nur, was ich sage. Diese Dinge lassen sich nicht so leicht übers Knie brechen. Man kann Finkler heißen, und es reicht trotzdem nicht; man kann aber auch Treslove heißen …«
    »Was nun wahrlich kein jüdischer Name ist.«
    »Genau, und dennoch den Ansprüchen genügen. Wenn mein Vater verhindern wollte, dass ich von unserem Judentum erfuhr
oder dass sonst irgendwer herausbekam, dass wir Juden waren, wäre es da nicht sinnvoll gewesen, unseren Namen in einen möglichst unjüdischen Namen zu ändern? Treslove, mein Gott, der Name schreit doch geradezu nicht-jüdisch. Und hiermit schließe ich die Beweisaufnahme, Euer Ehren.«
    »Ich sage Ihnen, wie Sie Ihre Beweisaufnahme schließen können, Mr Perry Mason. Sie können Ihre Beweisaufnahme schließen, indem Sie aufhören, derart absurde Spekulationen anzustellen und aller Welt damit auf die Nerven zu gehen. Frag einen Onkel, Julian, frag einen der Freunde deines Vaters, frag irgendwen aus deiner Familie. Dieses Rätsel sollte sich mit einem Telefonanruf lösen lassen.«
    »Meine Familie hatte keine Freunde, wir sind immer unter uns geblieben. Und ich habe keine Onkel; mein Vater hatte keine Geschwister, meine Mutter auch nicht. Beides Waisen, jedenfalls so gut wie. Zwei Findelkinder im Wald. Und jetzt erklär mir, was so eine Metapher besagt.«
    Libor schüttelte den Kopf und schenkte ihnen Whisky nach. »Sie besagt, dass du nicht die Wahrheit wissen willst, weil du dir lieber deine eigene Version erfindest. Okay, dann erfinde sie. Du bist ein Jude. Trog es gesunterhajt .« Und er hob das Glas.
    Libor setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. Die kleinen Füße steckten in einem Paar Ancien-Régime- Pantoffeln, die seine mit Goldfaden gestickten Initialen trugen. Ein Geschenk von Malkie, nahm Treslove an. Waren dies hier nicht alles Geschenke von Malkie? Die Pantoffeln ließen Libor noch gebrechlicher aussehen, noch durchscheinender, so als schwände er dahin. Und doch fand Treslove ihn in dieser Wohnung beneidenswert aufgehoben. Daheim. Er selbst. Immer noch in die einzige Frau verliebt, die er je geliebt hatte. Auf dem Kaminsims Fotos der beiden, wie sie von einem Rabbi getraut wurden, Malkie mit Schleier, Libor mit Kippa. Verwurzelt, alt, sich ihrer selbst gewiss. Musikalisch, da Musik die Romantik ihrer Herkunft untermalte.
    Als sein Blick erneut voller Bewunderung auf Libors Pantoffeln fiel, sah er, dass die Initialen auf dem einen LS ergaben, auf dem anderen aber ES. Das war natürlich richtig; Libor hatte ja während seiner Jahre in Hollywood den Namen von Libor Sevcik zu Egon Slick geändert. Dergleichen taten doch die Juden, nicht wahr? War das nicht sogar, was Juden tun mussten? Warum aber brachte Libor/Egon dann nicht mehr Verständnis für Teitelbaum /Treslove auf?
    Er schwenkte den Whisky im Glas. Böhmisches Kristall. Sein Vater hatte auch am liebsten aus Kristallgläsern getrunken, nur waren die anders gewesen. Spießiger. Wahrscheinlich teurer.

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