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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nur so schwer, mir zu glauben, dass wirklich geschehen ist, was geschehen ist?«
    »Weil Frauen nicht über Männer herfallen, deshalb. Bei mir könnte es eine Frau ja auf einen Versuch ankommen lassen. Mir könnte eine Frau eins überziehen. Aber du – du bist noch jung und stark. So weit zu A. Und B: Frauen haben nun einmal nicht die Angewohnheit, Männer auf der Straße zu überfallen und sie Juden zu nennen, vor allem, C: wenn sie gar keine Juden sind. C ist gut, C ist nicht zu überbieten.«
    »Tja, aber genau das hat sie getan und genau das hat sie gesagt.«
    »Zumindest glaubst du, dass sie das gesagt hat.«
    Treslove nahm auf Libors ebenso eleganten, wie ungemütlichen Biedermeiersofa Platz.
    »Und was wäre, wenn?«, fragte er, hielt sich an der hölzernen Lehne fest und achtete sorgsam darauf, den kunstvoll straff gespannten Stoff nicht mit den Händen zu berühren.
    »Wenn was?«
    »Wenn sie recht hätte?«

    »Dass du …?«
    »Ja.«
    »Aber du bist’s nicht.«
    »Wir nehmen an, dass ich’s nicht bin.«
    »Hast du denn je zuvor gedacht, du wärest einer?«
    »Nein … Na ja, doch. Ich war ein musikalisch begabter Junge, habe gern Opern gehört und wollte immer Geige spielen.«
    »Das macht dich nicht zum Juden. Wagner hat gern Opern gehört und wollte Geige spielen. Hitler hat Opern geliebt und wollte Geige spielen. Als Mussolini in die Alpen fuhr, um Hitler zu besuchen, haben sie gemeinsam Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen gespielt. ›Und jetzt lass uns ein paar Juden umbringen‹, hat Hitler danach gesagt. Man muss kein Jude sein, um Musik zu lieben.«
    »Stimmt das?«
    »Dass man kein Jude sein muss, um Musik zu lieben? Natürlich stimmt das.«
    »Nein, das mit Hitler und Mussolini.«
    »Wen kümmert’s, ob das stimmt? Ein toter Faschist kann dich schließlich nicht wegen übler Nachrede belangen. Hör mal, wenn du wirklich wärst, was du laut dieser imaginären Frau sein sollst, und du hättest Geige spielen wollen, dann hättest du Geige gespielt. Nichts hätte dich davon abgehalten.«
    »Ich habe meinem Vater gehorcht, beweist das nichts? Ich habe seine Wünsche respektiert.«
    »Dem Vater zu gehorchen macht dich nicht zum Juden. Der Mutter zu gehorchen schon eher. Und dass dein Vater nicht wollte, dass du Geige spielst, macht ihn fast mit Sicherheit zum Goi. Denn wenn es etwas gibt, worin sich alle jüdischen Väter einig sind …«
    »Sam würde das ein Klischee nennen. Außerdem lässt du die Möglichkeit außer Betracht, dass mein Vater mich nicht Geige spielen lassen wollte, weil er nicht wollte, dass ich so werde wie er.«
    »Er war Geiger?«
    »Ja, wie du. Siehst du?«
    »Und warum hatte er was dagegen, dass du würdest wie er? War er so ein schlechter Geiger?«
    »Ich meine es ernst, Libor. Vielleicht hatte er seine Gründe.«
    »Entschuldige. Aber warum wollte er, dass du anders wirst als er? War er unglücklich? Hat er gelitten?«
    Treslove dachte darüber nach. »Ja«, sagte er. »Er hat das Leben nie leichtgenommen. Und der Tod meiner Mutter brach ihm das Herz. Allerdings hatte er auch schon vorher immer den Eindruck gemacht, ihm sei das Herz gebrochen worden. Als wüsste er, was ihn erwartete, und hätte sich sein Leben lang darauf vorbereitet. Vielleicht wollte er mich aber nur vor tieferen Gefühlen bewahren, mir etwas ersparen, was er in sich selbst fürchtete, etwas Unerfreuliches, gar Gefährliches.«
    »Die Juden sind nicht die einzigen Menschen auf der Welt, Julian, die an gebrochenem Herzen leiden können.«
    Das zu hören, schien Treslove zu enttäuschen. Er blies die Wangen auf, holte tief Luft, schüttelte den Kopf und war mit sich offenbar ebenso unzufrieden wie mit Libor.
    »Ich will dir was erzählen«, sagte er. »Während all der Jahre, in denen ich aufwuchs, habe ich nicht ein einziges Mal das Wort Jude gehört. Findest du das nicht merkwürdig? Und ich habe auch während all der Jahre, in denen ich aufwuchs, niemals einen Juden in der Gesellschaft meines Vaters angetroffen, in seinem Laden oder im Haus meiner Eltern. Alle anderen Worte habe ich gehört. Menschen jeden Schlags habe ich kennengelernt. Ich traf Hottentotten im Laden meines Vaters. Tonganer. Aber nie einen Juden. Bis ich Sam begegnete, habe ich nicht einmal gewusst, wie ein Jude aussieht. Und als ich Sam dann mit nach Hause brachte, hat mein Vater gesagt, er finde nicht, dass Sam der richtige Umgang für mich sei. ›Dieser Finkler‹, wurde ich immer gefragt, ›dieser Finkler, treibst
du dich

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