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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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aus ihm machen. Konnte aber auch daran liegen, dass er ohne Malkie unterwegs war.

    »Und? Hat man dir einen guten Preis für die Geige geboten?«, fragte er. Was anderes fiel ihm nicht ein, wenn er nicht weinen wollte.
    »Nicht so gut, dass ich mich von ihr getrennt hätte, doch ich musste Malkie versprechen, nicht länger mit ihr im Duett zu spielen. Mein Gefiedel war das Einzige, was sie an mir nicht bewunderte, und sie wollte nicht, dass es an mir etwas gab, was sie nicht bewundern konnte.«
    »Hast du nicht gut genug gespielt?«
    »Ich fand, ich war ziemlich gut, nur habe ich eben nicht in Malkies Liga gespielt, obwohl ich mütterlicherseits sogar mit Heifetz verwandt bin.«
    »Du bist mit Heifetz verwandt? Jesus!«
    »Du meinst Judith, oder?«
    »Du hast mir nie gesagt, dass du mit Heifetz verwandt bist.«
    »Du hast nie danach gefragt.«
    »Ich habe nicht mal gewusst, dass Heifetz Tscheche war.«
    »War er auch nicht. Er kam aus Litauen. Meine Mutter stammte ursprünglich aus einem Gebiet, das Suwalki heißt, eine ziemlich poröse polnisch-tschechische Grenzregion. Sie ist von fast jedem Land besetzt worden. Die Rote Armee überließ sie den Deutschen, damit sie dort die Juden umbringen konnten. Dann hat sie sich Suwalki zurückgeholt, um auch noch den Rest umzubringen. Ich bin ein Vetter vierten oder fünften Grades von Heifetz, aber meine Mutter hat immer getan, als wären wir Halbbrüder. Sie rief mich aus Prag an, als sie las, dass Heifetz in der Albert Hall ein Konzert gab, und ließ mich feierlich versprechen, dass ich ihn in seiner Garderobe aufsuchen und mich vorstellen würde. Ich habe es versucht, aber das ist lange her. Damals besaß ich noch nicht die Verbindungen, die ich später haben sollte; außerdem hatte ich noch nicht gelernt, auch ohne sie zurechtzukommen. Seine Lakaien gaben mir ein Foto mit seinem Autogramm und sagten, ich solle verschwinden. ›Was
hat er gesagt?‹, wollte meine Mutter am nächsten Tag wissen. ›Er lässt ausrichten, dass er dich lieb hat‹, sagte ich. Manchmal ist eine Lüge das geringere Übel. ›Und? Hat er gut ausgesehen?‹ – ›Wunderbar.‹ – ›Wie hat er gespielt?‹ – ›Fantastisch.‹ – ›Hat er noch alle gekannt?‹ – ›Mit Namen. Dir hat er eine Kusshand zugeworfen.‹«
    Und wie er da in einer Londoner Nacht um elf Uhr vor J. P. Guivier stand, machte er jenen Handkuss nach, jenen seelenvollen Handkuss, den Heifetz seiner Mutter zugeworfen hätte, wäre Libor nur zu ihm vorgedrungen.
    Juden, dachte Treslove voller Bewunderung. Juden und Musik. Juden und Familie. Juden und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. (Finkler ausgenommen.)
    »Und du?«, fragte Libor und hakte sich bei Treslove ein. »Was bringt dich tatsächlich vor dieses Fenster, wenn es denn keine Judith ist? Seit Tagen habe ich nichts von dir gehört. Du rufst nicht an, du schreibst nicht, klopfst nicht an meine Tür und behauptest, du wärst zu aufgewühlt, um aus dem Haus zu gehen. Aber jetzt bist du hier, kaum hundert Schritt vor meiner Tür. Ich hoffe doch, du hast eine gute Erklärung für dein ungewöhnliches Verhalten.«
    Und Treslove, der es liebte, wenn Libor sich auf der Straße bei ihm unterhakte, da er glaubte, es mache ihn zu einem klugen, kleinen, ganz verhutzelten europäischen Juden, wusste plötzlich, dass er mit der Wahrheit rausrücken musste.
    »Gehen wir in ein Café«, schlug er vor.
    »Nein, gehen wir zu mir«, sagte Libor.
    »Nein, lieber in ein Café. Wir könnten sie sehen.«
    »Sie? Welche Sie? Diese Judith?
    Statt ihm alles an Ort und Stelle zu erzählen, willigte Treslove ein, mit Libor nach Hause zu gehen.
     
    Libor meinte, Treslove sei überarbeitet – und das schon seit einiger Zeit –, bestimmt brauche er Urlaub. Sie könnten doch
zusammen irgendwohin fahren, wo es warm sei. Nach Rimini, zum Beispiel. Oder nach Palermo.
    »Das hat Sam auch gesagt.«
    »Dass wir beide nach Rimini fahren sollen? Oder dass ihr beide nach Rimini fahren sollt? Warum fahren wir nicht alle zusammen?«
    »Nein, dass ich überarbeitet bin. Er meinte sogar, ich sollte nicht mehr, sondern eher weniger mit euch zusammen sein. Zu viel Tod, so seine Diagnose. Zu viele Witwer in meinem Leben. Und dieser Kerl ist Philosoph, vergiss das nicht.«
    »Dann befolge seinen Rat. Halt dich an seinen Vorschlag, auch wenn du mir fehlen wirst. Ich habe Freunde in Hollywood, bei denen könnte ich ein Wort für dich einlegen. Zumindest bei den Ururenkeln dieser Freunde.«
    »Warum fällt es

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