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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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romantischen und diskreten Ort ausgemacht zu haben, an dem sich ein Freitagabend und Samstagmorgen angenehm mit einer Frau verbringen ließ – Möwen vor den Fenstern und die Gäste zu alt, um ihn einordnen zu können oder um darauf zu reagieren, sollte es ihnen doch gelingen –, nur hatte er nicht erwartet, Alf im Hotel anzutreffen, der zum Abendessen Klavier spielte.

    Dies geschah zwei Jahre vor Tylers Tod, sogar zwei Jahre ehe man ihre Krankheit diagnostiziert hatte, sodass man sein Fremdgehen vielleicht nicht völlig unverzeihlich nennen konnte. Allerdings wusste er damals nicht, dass Tyler ihrerseits zur gleichen Zeit fremdging, und zwar mit Treslove, was wiederum, wog man das eine gegen das andere auf, als ein wenig strafmildernd gelten könnte. Zum Klavier zu gehen und den Pianisten zu bitten, er möge für Ronit Kravitz Stars Fell on Alabama spielen, nur um dann festzustellen, dass er mit Tresloves Sohn Alfredo redete, war allerdings eine Peinlichkeit, die er sich gern erspart hätte.
    Er hatte Alfredo nicht sofort erkannt – wenn man nicht damit rechnet, Menschen zu treffen, die man kaum kennt, übersieht man sie leicht –, Alfredo aber, der den Vorteil hatte, Finkler des Öfteren auf dem Bildschirm gesehen zu haben, erkannte seinen Onkel auf Anhieb.
    »Onkel Sam«, sagte er. »Wow!«
    Finkler wollte schon »Kenne ich Sie?« antworten, bezweifelte aber, dass er die Worte glaubhaft aneinanderreihen konnte.
    »Ähm!«, sagte er stattdessen und beschloss, sich damit abzufinden, dass er auf frischer Tat ertappt worden war. Lieber mimte er den losen Onkel, schließlich wäre es angesichts der Unabänderlichkeit des Dekolletés von Ronit Kravitz sowieso sinnlos gewesen zu behaupten, er sei geschäftlich in Eastbourne.
    Alfredo schaute zu dem Tisch hinüber, von dem Finkler aufgestanden war, und sagte: »Tante Tyler konnte heute Abend nicht mitkommen?«
    Schlagartig wurde Finkler klar, dass er Alfredo eigentlich noch nie gemocht hatte. Er hätte nicht einmal schwören können, Alfredos Vater überhaupt jemals gemocht zu haben, aber Schulfreunde waren nun einmal Schulfreunde. Alfredo besaß große Ähnlichkeit mit seinem Vater, hatte sich jedoch in dessen ältere Ausgabe verwandelt, trug eine runde Goldrandbrille, die er vermutlich gar nicht brauchte, und hatte sich eine fettige
Tolle in die Stirn geklatscht, die ihm das Flair eines Gigolo der zwanziger Jahre in Berlin verlieh – nur ohne dessen Sexappeal.
    »Ich wollte dich bitten, ein Lied für meine Begleitung zu spielen«, sagte Finkler, »aber unter diesen Umständen …«
    »Ach was, ich spiel’s«, sagte Alfredo. »Dafür bin ich ja da. Was würde sie denn gern hören – Happy Birthday to You ?«
    Aus irgendeinem Grund sah Finkler sich außerstande, um das Lied zu bitten, dessentwegen er hergeschickt worden war. Hatte er den Titel vergessen, weil er es so peinlich fand, dass man ihm auf die Schliche gekommen war? Oder bestrafte er Ronit dafür, Anlass dieser peinlichen Begegnung zu sein?
    »My Yiddishe Mama«, sagte er. »Falls du das kennst.«
    »Spiele ich ständig«, erwiderte Alfredo.
    Und er spielte es, hämischer, als Finkler es je gehört hatte, mit harschen, schrägen Synkopen, gefolgt von absurd in die Länge gezogenen Passagen, Fugen beinahe, als sei der Song ein Spott- und kein Loblied auf die Mutterschaft.
    »Das ist aber nicht Stars Fell on Alabama «, sagte Ronit Kravitz. Bis auf ihr Dekolleté, das größer als sie selbst war, gab es über Ronit Kravitz nur wenig Bemerkenswertes zu sagen. Unter dem Tisch trug sie strassbesetzte High-Heels, aber die waren jetzt nicht zu sehen. Und obwohl sie prachtvolles blauschwarzes Haar hatte, in dem sich das Licht der Kronleuchter spiegelte, verschwand dies, wie alle Blicke, die sie auf sich zog, in jener uferlosen, goldenen Kluft, die sie vor sich hertrug, wie ein stolzer Behinderter sein Gebrechen vor sich hertragen mochte. Die Manawatu-Schlucht, so nannte sie Finkler für sich, wenn er gerade nicht in Ronit Kravitz verliebt war, und im Augenblick war er das nicht.
    »Das ist seine Interpretation«, sagte er. »Ich summe es dir nachher vor, so wie du es gern hast.«
    Es war eine Lektion, die er offenbar niemals lernte: Ein Mann in Begleitung einer Frau, die sich übertrieben sexy gibt, wirkt
wie ein Trottel. Zu lange Beine, zu kurzer Rock, die Bluse zu freizügig, und man erntet als Begleiter nicht Neid, sondern Gelächter. Einen Moment lang sehnte er sich danach, daheim zu sein, bis ihm einfiel,

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