Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
nach einer Leiche absucht. Er hielt nur inne, um ihr zu erzählen, was ihn beschäftigte, und das war – jedenfalls soweit er Tyler davon berichten konnte – unweigerlich seine Arbeit. Wenn er
verstummte oder auch nur langsamer wurde, dann, das wusste er, würde ihn Tyler bitten, einen Bambusstab für sie zu halten oder den Finger auf eine grüne Schnur zu pressen, damit sie einen Knoten binden konnte. An sich keine lästigen Aufgaben, doch weckten sie in Finkler das Gefühl, sein Leben versickere in Mist und Mulch.
»Ich habe mir Desert Island Discs an Land gezogen«, rief er ihr aus dem fernsten Winkel des Gartens zu, während er sich mit den Händen hinterm Rücken sicherheitshalber an einem Fallrohr festhielt.
Tyler war auf Händen und Knien und versuchte, dem steinigen Boden Leben zu entlocken. In Gedanken ganz bei der Erde. Sie blickte nicht auf. » An Land gezogen? Was soll das heißen? Ich habe gar nicht gewusst, dass du danach geangelt hast.«
»Hab ich auch nicht. Sie haben mich geangelt.«
»Dann sag ihnen, sie sollen dich wieder ins Wasser werfen.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Warum nicht? Wieso interessiert dich Desert Island Discs ? Du wirst doch schon in deinem Garten verrückt, was also willst du auf einer einsamen Insel? Außerdem besitzt du keine einzige Platte oder CD. Du kennst überhaupt keine Musik.«
»Tu ich wohl.«
»Nenn mir irgendeine Musik, die dir gefällt.«
»Aha, gefallen – das ist was anderes als kennen.«
»Du Korinthenkacker!«, sagte sie. »Reicht es nicht, dass du ein Lügner bist? Musst du auch noch den Pedanten spielen? Ich rate dir, nicht mitzumachen. Das bringt nichts. Die Zuhörer merken, wenn du nur so tust als ob. Weil du dann nämlich sehr laut wirst.«
Mag sein, dass man Finkler geangelt hatte, aber auf den Köder seiner Frau biss er trotzdem nicht an. »Ich werde schon nicht lügen. Außerdem kann auch was anderes als Musik auf den CDs sein.«
»Was willst du dir dann aussuchen – Bertrand Russell liest seine Memoiren? Ich kann’s kaum erwarten.«
Sie stand auf und wischte sich die Hände an der Gärtnerschürze ab, die er ihr vor Jahren gekauft hatte. Tyler trug Ohrringe, ebenfalls von ihm gekauft, und die goldene Rolex, die ihr von ihm zum zehnten Hochzeitstag geschenkt worden war. Tyler gärtnerte stets in bester Garderobe und trug dazu ihren Schmuck. Sie hätte direkt vom Düngerstreuen zum Abendessen ins Ritz gehen können, ohne sich mehr als die Handschuhe ausziehen und mit den Fingern durchs Haar fahren zu müssen. Der Anblick seiner Frau, die wie eine Venus der beau monde dem Kompost entstieg, das war der Grund, warum er sich diesen gefürchteten Garten überhaupt näherte. Es blieb ihm selbst rätselhaft, warum er Affären hatte, wenn er seine Frau doch um so vieles begehrenswerter als all seine Geliebten fand.
War er ein schlechter Mensch? Oder bloß dumm? Eigentlich hielt er sich nicht für schlecht und glaubte, im Grunde ein guter und treuer Ehemann zu sein. Nur ließ sich Monogamie nicht mit der Natur des Mannes vereinen. Und seiner Natur war er etwas schuldig, selbst wenn diese Natur seinem Verlangen widersprach, daheim zu bleiben und seine Frau zu lieben.
Die Natur war schuld – die ganze Natur, die Herrschaft der Natur –, sie war der Bösewicht, nicht er.
»Na ja, für den Anfang«, sagte er und spürte, wie er sentimental wurde, »habe ich an die Musik gedacht, die zu unserer Hochzeit …«
Sie ging zum Gartenschlauch, um den Wasserhahn aufzudrehen. »Mendelssohns Hochzeitsmarsch ? Wohl kaum besonders orig inell. Und wenn es dir nichts ausmacht, zöge ich es vor, du würdest unsere Hochzeit außen vor lassen; sie wäre sowieso das Letzte, woran du auf deiner einsamen Insel dächtest. Falls dir übrigens nichts Besseres als Mendelssohn einfällt, rate ich dir dringend, dem Sender zu sagen, du hättest keine Zeit. Es
sei denn, Mendelssohn hat auch einen Ehebrechermarsch geschrieben. «
»Keine Zeit für Desert Island Discs ? Jeder hat Zeit für Desert Island Discs. Bei so einem Angebot muss man einfach zugreifen – ist eine Karrierefrage.«
»Du hast deine Karriere. Greif dir lieber das Schlauchende.«
Finkler sah sich außerstande, das Schlauchende zu finden, und begann deshalb wieder, wie ein Privatdetektiv durch den Garten zu staksen, starrte in die Büsche und kratzte sich am Kopf.
»Der Schlauch ist das Ding, aus dem das Wasser kommt, du Schwachkopf. Wie viele Jahre wohnst du schon hier? Und du weißt immer noch
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