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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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»Dieser gierige kleine Grabräuber. Warum kann er andere Männer nicht in Ruhe um ihre Frauen trauern lassen? Warum muss er sich ständig einmischen? «
    »Sam behauptet, er hätte beide Frauen gern gehabt.«
    »Klar, sicher doch. Erst recht, seit sie den Löffel abgegeben haben.«
    Ohne darauf einzugehen, fragte Janice: »Sam glaubt also, diese Frau, von der Julian niedergeschlagen wurde, sei eine Ausgeburt seiner Trauer?«
    »Was denn für Trauer?«
    »Nein, ehrlich, ein faszinierender Gedanke. Vielleicht ist sie genau das, was man unter Gespenst versteht – die Verkörperung dessen, was einen verstört. Aber warum als Attentäterin? Warum diese Gewalt?«
    »Das überfordert mich jetzt«, sagte Rodolfo. »Können wir nicht einfach wieder darüber reden, dass irgendeine Stadtstreicherin Dad eins übergezogen hat?«
    »Schuldgefühle, würde ich mal sagen«, fuhr Josephine fort, ohne auf ihn einzugehen. »Hat bestimmt was mit beiden gehabt. Oder, schlimmer noch, ihnen voller Inbrunst Puccini-Arien vorgesungen.«
    »Bei dir waren’s Verdi-Arien«, erinnerte sie Janice.

    »Wie auch immer«, sagte Alfredo, »Sam meinte, wir sollten ihn für eine Weile woanders hinschicken.«
    »In die Klapse?«
    »Nein, einen Urlaub für ihn buchen. Ihr wisst doch, wie schwer er sich mit Reiseplänen tut. Angst vor Zügen, Angst vor Flugzeugen, Angst, in einem Land zu sein, in dessen Sprache er das Wort für Paracetamol nicht kennt. Am besten wär’s, meinte Onkel Sam, wir würden mit ihm fahren. Irgendwer Lust, mit Dad Urlaub zu machen?«
    »Ich nicht«, sagte Rodolfo.
    »Ich auch nicht«, sagte Janice.
    »Nicht mal, wenn er der letzte Mensch auf diesem Planeten wäre«, sagte Josephine. »Soll Sam Finkler doch mit ihm fahren, wenn er es für eine so gute Idee hält.«
    » Klingt mir wie ein Nein«, sagte Alfredo lachend.
    Erst nachdem die Söhne vereinbart hatten, ihn anzurufen und vielleicht mal mit ihm zu Mittag zu essen, und alle aufstanden, um zu gehen, fiel Alfredo ein, was Onkel Sam noch erzählt hatte. »Außerdem … hat er beschlossen, Jude zu sein.«
    »Onkel Sam? Ist der nicht schon Jude?«
    »Nein, Dad. Dad hat beschlossen, Jude zu sein.«
    »Dad soll Jude sein? Ein Jude?«
    Alle vier setzten sich wieder.
    »Jepp.«
    »Wie meinst du das – er hat beschlossen?«, wollte Rodolfo wissen. »Man wacht doch nicht eines Morgens auf und beschließt, Jude zu sein – oder geht das so einfach?«
    »Im Rundfunkhaus habe ich mit einer Menge Leute zusammengearbeitet, die eines Morgens aufgewacht sind und beschlossen haben, kein Jude zu sein«, sagte Josephine.
    »Anders herum geht das doch aber nicht, oder?«
    »Keine Ahnung«, sagte Alfredo. »Ich glaube sowieso nicht, dass Dad vorhat, sich zum Judentum zu bekehren. Wenn ich
Onkel Sam richtig verstanden habe, hat er die fixe Idee, längst Jude zu sein.«
    »Oh Gott«, sagte Rodolfo, »und was sind wir dann?«
    »Jedenfalls keine Juden«, sagte Josephine. »Da mach dir mal keine Sorgen. Juden trauen ihren Frauen nicht über den Bettrand, deshalb wird man zum Juden nur durch die Vagina. Und ich habe keine jüdische Vagina.«
    »Ich auch nicht«, sagte Janice.
    Alfredo und Rodolfo sahen sich an und taten, als würde ihnen schlecht.
    Rodolfo war aber nicht nur angewidert, sondern auch verwirrt. »Das kapiere ich jetzt nicht. Wenn man den Frauen nicht traut, warum macht man es dann von ihnen abhängig, wer Jude wird?«
    »Tja, weil man bestimmt keiner würde, wenn man sich auf den Vater verlässt und der ein verdammt großer Araber mit Goldzähnen ist.«
    »Schlafen Jüdinnen mit Arabern?«
    »Mein Lieber, jüdische Frauen schlafen mit jedem.«
    »Schluss jetzt«, sagte Janice und gab dem Kellner mit einer wortlosen Kopf bewegung ein Zeichen. Sie sollten – warnten sie ihre Blicke – nicht vergessen, dass sie sich in einem libanesischen Restaurant befanden.
    »Trotzdem interessant«, sagte Rodolfo. »Werde ich auch klüger, wenn sich rausstellt, dass ich Halbjude bin?«
    Janice wuschelte ihrem Sohn durchs Haar. »Du brauchst den doch nicht, um klug zu sein«, sagte sie.
    »Und reicher?«

FÜNF
    1
    Man sagt zu einem Mann, der sich total verrannt hat, nicht: »Suche sie und bring sie her.«
    Aber Treslove wäre ein Idiot, wollte er der fraglichen Sie noch eine einzige weitere Minute seiner Zeit widmen. Es kommt der Tag, da muss man zu seinem zwanghaften Verlangen Nein sagen. Er zog den Mantel an und zog ihn wieder aus. Jetzt reichte es. Er wusste, was er dachte. Er wusste, was er

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