Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Augen; seine Gedanken konnte sie auch mit geschlossenen Augen lesen.
»Gott verdammt noch mal, Schmuel«, sagte sie. »Deinesgleichen? Hast du vergessen, dass du keine Juden magst? Du gehst ihrer Gesellschaft aus dem Weg und hast öffentlich erklärt, dass sie dir auf die Nerven gehen, weil sie so gern den starken Mann markieren und einem dann sagen, dass sie an einen mitfühlenden Gott glauben. Und nur weil jetzt ein paar mediokre, pseudoprominente Juden beschlossen haben, sich vorzuwagen und mit dir einer Meinung zu sein, findest du sie toll. Ging es immer nur darum? Wärst du der beste aller guten Judenjungs gewesen, hätten dich die anderen Judenjungs nur früher geliebt? Ich kapier’s nicht. Das ergibt keinen Sinn. Wirst du wieder ein begeisterter Jude, um dich gegen das Judentum zu wenden?«
»Gegen das Judentum wende ich mich doch gar nicht.«
»Na ja, gegen das Christentum jedenfalls sicher nicht. Schandejiddn? Da wäre es ja ehrenvoller, du würdest dich auf David
Irving einlassen oder den britischen Nationalisten beitreten. Frag dich, was du wirklich willst, Samuel … Sam! Um die Anerkennung der Juden geht es dir bestimmt nicht. Von denen gibt’s gar nicht genug.«
Er hörte ihr nicht mehr zu. Mit heißen Ohren ging er nach oben an den Schreibtisch und schrieb den Schandejiddn einen hochachtungsvollen Brief – einen Brief der Hochachtung ihrer Hochachtung. Es sei ihm eine Ehre, ihnen beizutreten.
Doch dürfe er einen Vorschlag machen? Im Zeitalter der markanten Slogans, in dem sie, ob es nun gefalle oder nicht, zweifelsfrei lebten, könne ein schlichtes, leicht zu erinnerndes Akronym die Wirkung von tausend Grundsatzerk lärungen haben. Nun, ein Akronym – zumindest etwas, das einem Akronym sehr nahekomme – verberge sich bereits in jenem Namen, den der Verein sich gegeben habe. Wie wäre es, statt Schandejiddn mit A-SCHandjiddn, was man, je nachdem, wie die Mitglieder dazu stünden, jetzt oder auch in Zukunft zu ASCHjiddn oder zu ASCH wie Asche kürzen könne, unter den gegebenen Umständen eine selten glück liche Fügung, auf die er, dessen sei er sich gewiss, wohl kaum ausdrücklich hinzuweisen brauche.
Schon nach einer Woche erhielt er ein enthusiastisches Antwortschreiben mit dem Brief kopf: »ASCHandjiddn.«
Ihn erfüllte großer Stolz, der natürlich durch den Kummer um jene geschmälert wurde, deren Leid die ASCHandjiddn erst notwendig machten.
Tyler lag grausam falsch. Er hatte kein Verlangen nach dem, was sie ihm unterstellte. Sein Wunsch nach Anerkennung – oder gar Zustimmung – war keineswegs unersättlich. Er besaß bereits genügend Ansehen, Gott war sein Zeuge. Hier aber ging es nicht um Anerkennung, sondern um die Wahrheit. Jemand musste sie aussprechen. Und jetzt waren andere bereit, sie mit ihm auszusprechen. Und das in seinem Namen.
Wäre Ronit Kravitz nicht die Tochter eines israelischen Generals gewesen, hätte er sie angerufen und ihr vorgeschlagen, ein Wochenende lang mit ihm in Eastbourne aufs Schändlichste und Vergnüglichste jiddisch zu pimpern.
3
Wie sich herausstellte, sah Tyler doch eine Sekunde lang die Sendung ihres Mannes in Tresloves Hampsteader Wohnung, die nicht in Hampstead lag. Und danach, in schicklichen Abständen, auch noch weitere Sendungen. Es tröstete sie darüber hinweg, dass ihr Mann so viel fürs Fernsehen arbeitete. Was zwischen ihr und Julian lief, wuchs sich nie zu einer richtigen Affäre aus, da sie beide keine Affäre suchten – zumindest Tyler nicht, und Treslove war es leid, überhaupt irgendwas zu suchen –, doch fanden sie Wege und Möglichkeiten, einander Freundlichkeiten zu erweisen, die über einen gewöhnlichen, von Wut und Neid angefachten Nachmittagsehebruch hinausgingen.
Treslove bemerkte, wie rasch sie müde wurde.
»Du siehst blass aus«, sagte er ihr einmal und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.
Sie ließ es zu, und sie lachte. Ihr stilles, nicht ihr wildes Lachen.
»Und du wirkst bedrückt«, sagte er und küsste sie aufs Neue.
»Tut mir leid«, erwiderte sie. »Ich bin nicht hergekommen, um dich zu deprimieren.«
»Das tust du nicht, deine Blässe gefällt mir. Ich mag es, wenn Frauen tragisch aussehen.«
»Mein Gott – tragisch? Steht es so schlimm um mich?«
Es stand so schlimm um sie, ja.
Am liebsten hätte Treslove gesagt: »Komm und stirb bei mir«, doch wusste er, das ging nicht. Eine Frau musste daheim im eigenen Haus sterben, in den Armen des Gatten, auch wenn ihr der Liebhaber die Stirn weit
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