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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nur?«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil es in der Sendung nicht um Scham und Schande ging, deshalb. Weil niemand danach gefragt hat.«

    »Tyler …«
    »Ich weiß – dein Gewissen hat dich gezwungen. Ein praktisches Ding, dein Gewissen. Da, wenn du es brauchst, unauffindbar, wenn du es nicht brauchst. Nun, ich schäme mich jedenfalls für die öffentliche Zurschaustellung deiner Scham, und dabei bin ich nicht einmal Jüdin.«
    »Eben deshalb«, erwiderte Finkler.
     
    Es enttäuschte Finkler sehr, dass es keine seiner geistreich aufpolierten Wendungen in die Zitate der Woche schaffte, doch fühlte er sich geschmeichelt, als er vierzehn Tage nach Ausstrahlung der Sendung einen Brief von einigen in der Welt des Theaters und der Universitäten wohlbekannten Juden erhielt, die ihn einluden, einem Verein beizutreten, der bislang bloß eine Idee ohne konkrete Richtung gewesen war, jetzt aber umstrukturiert und zu Ehren seiner Courage, sich öffentlich zu bekennen, in Schandejiddn umgetauft werden sollte.
    Finkler war gerührt. Lob von seinesgleichen rührte ihn beinahe ebenso sehr wie jene Gebete, die er nie für seinen Großvater gesprochen hatte. Er überflog die Liste. Die meisten Professoren kannte er, und sie waren ihm egal, mit den Namen der Schauspieler aber schwang sich sein Ruhm zu neuen Höhen auf. Zwar galt er nicht gerade als Theaternarr und hatte über Tylers Vorschläge – »komm, sehen wir uns das Stück an« – meist bloß verächtlich die Nase gerümpft, doch von Schauspielern angeschrieben zu werden – auch wenn er von ihnen als Schauspieler nicht gerade viel hielt –, das sah er durchaus in anderem Licht. Auf der Liste standen auch die Namen eines berühmten Kochs und einiger gefeierter Stand-up-Komiker. »Jesus!«, sagte er, als er den Brief las.
    Tyler war im Garten, lag diesmal im Liegestuhl, eine Tasse Kaffee in der Hand, die Zeitung aufgeschlagen vor sich. Sie war eingeschlafen, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Dass
sie in letzter Zeit schneller müde wurde als früher, war Finkler noch nicht aufgefallen.
    »Jesus!«, wiederholte er, sodass sie ihn hören konnte.
    Sie rührte sich nicht. »Was ist, Lieber? Wirft dir jemand Wortbruch vor?«
    »Wie es scheint, finden mich nicht alle beschämend«, sagte er und las die Namen der bekanntesten Briefunterzeichner vor.
    »Und?«
    Für dieses eine Wort brauchte sie so lang wie ihr Mann für das Dutzend Namen.
    Mit geblähten Nasenflügeln fragte er: »Was soll das denn heißen: Und?«
    Sie richtete sich auf und schaute ihn an. »Unter den Leuten, Samuel, deren Namen du mir gerade vorgelesen hast, ist nicht einer, den du auch nur im Mindesten respektierst. Du verabscheust Akademiker. Schauspieler magst du nicht – vor allem diese Schauspieler nicht –, für berühmte Köche hast du keine Zeit, und Stand-up-Komiker kannst du nicht ausstehen. Nicht lustig, sagst du über die. Kein bisschen lustig. Warum sollte mir – nein, warum sollte dir daran gelegen sein, was irgendwer von denen über dich denkt?«
    »Auf meine Beurteilung ihrer beruflichen Fähigkeiten kommt es in diesem Fall wohl kaum an, Tyler.«
    »Worauf dann? Auf deine Beurteilung ihrer Fähigkeiten als politische Analysten? Als Historiker, Theologen, Moralphilosophen? Ich kann mich nicht erinnern, dass du je behauptet hättest, als Komiker seien sie zwar eine Niete, als tiefschürfende Denker aber würdest du große Stücke auf sie halten. Jedes Mal, wenn du bislang mit Schauspielern zu tun hattest, hast du sie zu Kretins erklärt, unfähig, einen einzigen Satz zusammenzukriegen oder auch nur einen halben Gedanken – jedenfalls völlig unfähig, deine Ideen zu verstehen. Was sollte jetzt anders sein, Samuel?«

    »Ist doch nett, wenn man Unterstützung findet.«
    »Egal von wem? Ob Hinz oder Kunz?«
    »Ich würde diese Leute nicht gerade Hinz oder Kunz nennen. «
    »Nein, nicht mal Hinz und Kunz, um es mit deinen eigenen Worten zu sagen. Bloß sind sie jetzt, wo sie dein Loblied singen, mehr als Hinz und Kunz.«
    Er wusste, er konnte ihr nicht den ganzen Brief vorlesen, konnte ihr nicht sagen, dass seine Courage eine Bewegung inspiriert oder doch revitalisiert hatte, eine kleine Bewegung, die aber wer weiß wie groß werden würde, konnte ihr nicht sagen, wie angenehm er es fand, so gefragt zu sein, also, Tyler, du kannst mich mal!
    Trotzdem konnte er ihr auch nicht den Rücken kehren.
    Also fasste er sich kurz. »Lob ist anders, wenn dich deinesgleichen lobt.«
    Sie schloss die

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