Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
als damals, vor einem Jahr oder länger, als er sie zum ersten Mal zu umarmen versuchte. Ihre Haut ist nicht mehr so elastisch, dachte er, und ihre Kleider sind nicht mehr ganz so scharf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als er sie zum ersten Mal umarmte, hatte er danach geblutet. In ihr steckte noch Wut, aber keine Kampfeslust mehr. Dass sie überhaupt bereit war, sich umarmen zu lassen, und in seinen Armen stillhielt, bewies, wie sehr sie sich verändert hatte. Je weniger sie wurde, desto mehr von ihr gehörte ihm.
»Ich habe es ernst gemeint«, sagte er. »Ich liebe dich wirklich. «
»Und ich habe es ernst gemeint, als ich dir für deine Freundlichkeit gedankt habe.«
Einen Moment lang kam es Treslove so vor, als wären sie die Außenseiter, sie beide allein im Dunkeln, ausgeschlossen von der Meute der anderen. Heute wollte er nicht, dass sie nach Hause ging, zurück in Sams Bett, zu Sams Penis. Ob Sam sich jetzt auch wohl für seinen Penis schämte, überlegte Treslove.
In der Schule hatte er mit seiner Beschneidung herumgeprotzt. »Das lieben die Frauen«, hatte er Treslove im Duschraum gesagt.
»Lügner.«
»Ist nicht gelogen, ist wahr.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich hab’s gelesen. Für sie ist die Befriedigung größer. Mit einem von diesen Prachtstücken hältst du ewig durch.«
Treslove las selbst darüber nach. »Du kannst es nicht so genießen wie ich«, sagte er seinem Freund. »Dir fehlt das empfindlichste Stück.«
»Empfindlich mag es ja sein, aber es sieht ziemlich eklig aus. Dein Ding will doch keine Frau anfassen. Also was nützt dir die Empfindlichkeit? Falls du den Rest deines Lebens nicht damit verbringen willst, allein empfindlich zu sein.«
»Du kannst nie spüren, was ich spüre.«
»Mit dem Ding da wirst du nie was zu spüren kriegen.«
»Wir werden ja sehen.«
»Wir werden ja sehen.«
Und jetzt? Bezog sich Finklers jüdische Scham auch auf seinen jüdischen Schwanz?
Oder war der Schwanz das an ihm, was sich einer Ausnahme von der allgemeinen Diffamierung erfreuen durfte? Konnte ein ASCHandjidd den Frauen größere Befriedigung schenken als ein schamloser Goi, ob nun Palästinenser oder nicht?
Falls denn in dem Ganzen überhaupt ein Körnchen Wahrheit steckte. Bei Juden wusste man nie, was als Scherz galt und was nicht, dabei war Finkler nicht mal ein Jude, der gern scherzte. Treslove wünschte sich, Tyler würde es ihm sagen, würde das Rätsel ein für alle Mal lösen. Hatten Frauen eine Vorliebe? Sie wäre für diesen Vergleich ideal geeignet. Ja oder nein? Hielt ihr Schmuel wirklich ewig durch? Lag es an der Vorhaut und an ihr allein, dass Tyler willens war, sich den Penis ihres Mannes anzusehen, nicht aber den ihres Liebhabers? War Treslove im unbeschnittenen Zustand wirklich zu hässlich? Hatten die Juden wenigstens das richtig hingekriegt?
Was schließlich auch erklären würde, warum sie so mit ihm herumfummelte, wie sie es tat, hinter ihrem Rücken. Versuchte sie unbewusst, ihm sein Präputium abzuzupfen?
Er hatte sie nicht gefragt. Ihm fehlte der Mut. Bestimmt hätte ihm ihre Antwort nicht gefallen. Außerdem ging es Tyler nicht so gut, dass er sie hätte fragen können.
Wenn sich die Chance bietet, soll man sie beim Schopfe packen. Treslove sollte nie eine zweite erhalten.
4
»Und? Wo ist sie?«, fragte Libor, als er Treslove die Tür aufmachte. Normalerweise drückte er nur auf den Summer, um den Freund einzulassen, doch diesmal war er eigens mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren. Er wollte der mysteriösen Angreiferin privat vorgestellt werden, die offenbar riechen konnte, welcher Religion man angehörte.
Treslove hielt Libor die Handteller hin. Leer. Dann zeigte er auf sein Herz. »Da drinnen«, sagte er.
Libor zeigte auf den Kopf seines Freundes. »Du bist dir sicher, dass sie nicht da drinnen ist?«
»Ich kann auch wieder gehen.«
»Damit du gleich wieder überfallen wirst? Geh nicht. Komm lieber und lern die anderen Gäste kennen. Übrigens feiern wir Seder.«
»Was ist Seder?«
»Seder gehört zum Pessach-Fest.«
»Ich komme ein andermal wieder.«
»Sei nicht dumm. Es wird dir gefallen. Jedem gefällt ein Sederabend. Wir werden sogar singen.«
»Ich komme ein andermal wieder.«
»Du kommst mit nach oben. Es ist eine interessante Gruppe. Alte Leute, aber interessant. Und Gott sollte ebenfalls anwesend sein. Zumindest einer seiner Engel. Wir schenken ihm ein Glas Wein ein.«
»Bist du deshalb so vornehm angezogen? Weil du einen Engel
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