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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ihrer Augen auf ihn.
    »Das wäre schön«, erwiderte Treslove und hoffte, nicht sein fremdartiges Aussehen, sondern seine Unvertrautheit mit den Ritualen hatte ihr verraten, dass dies seine erste Pessachfeier war.
    »Libor hat oft von Ihnen erzählt«, sagte sie. »Von Ihnen und Ihrem Freund.«
    »Sam.«
    »Ja, Sam. Julian und Sam; mir ist, als würde ich sie beide schon ewig kennen. Übrigens stamme ich von Malkies Seite der Familie ab und bin daher Libors angeheiratete Großgroßnichte, vielleicht aber auch seine Großgroßgroßkusine.«
    »Ist hier jeder ein Großgroßgroßverwandter von der Person, neben der er sitzt?«
    »Ja, es sei denn, man ist noch enger verwandt.«
    Mit einem Kopfnicken wies er in Richtung der alten Dame. »Und sie ist …?«

    »Sie ist meine irgendwas. Fragen Sie bloß nicht, was genau. Letztlich sind alle Juden Urururverwandte von irgendwem. Dreimal Ur ist übrigens okay, sechsmal kommt nicht infrage.«
    »Eine große, glückliche Familie?«
    »Glücklich, das weiß ich nicht, aber Familie, ja. Kann ziemlich nerven.«
    »Es würde Sie nicht nerven, wenn Sie nie eine große Familie gekannt hätten.«
    »Sie haben keine?«
    »Nur Vater und Mutter, mehr nicht.«
    Plötzlich fand er, dass er sich wie ein Waisenkind anhörte, und hoffte, das Drama seiner Einsamkeit brachte sie nicht zum Weinen. Höchstens ein paar Tränen …
    »Was hätte ich nicht manchmal dafür gegeben, nur einen Vater und eine Mutter gehabt zu haben, mehr nicht.« Hephzibahs Bemerkung überraschte ihn. »Und weiß Gott, ich vermisse sie.«
    »Sie sind nicht hier?«
    »Von uns gegangen. Seither halten mich die meisten hier für eine Art Universaltochter.«
    (Und Mutter, fragte sich Treslove.)
    »Haben Sie Geschwister?«
    »Eigentlich nicht. Und deshalb hält man mich auch für eine Art Universalschwester. Ich habe Tanten, ich habe Onkel, ich habe Vettern und Kusinen, ich habe Kusinen von Kusinen, gebe ein Monatsgehalt für Geburtstagskarten aus und erinnere mich kaum an die Hälfte der Namen.«
    »Eigene Kinder?« Treslove ließ seine Frage beiläufig klingen, fast, als erkundige er sich nach dem Wetter: »Finden Sie es heute auch so kalt?«
    Sie lächelte. »Noch nicht. Hat keine Eile.«
    Treslove, der es bislang nicht so mit Babys gehabt hatte, sah nun die Babys vor sich, die sie beide haben würden, denn diesmal
sollte alles anders sein. Jakob, Esther, Ruth, Moische, Isaak, Rachel, Abraham, Lea, Leopold, Lazarus, Miriam … Langsam gingen ihm die Namen aus. Samuel – nein, kein Samuel –, Esau, Eliezer, Bathseba, Enoch, Isebel, Tabitha, Tamar, Judith …
    Hudith.
    »Und Sie?«, fragte sie.
    »Geschwister? Nein.«
    »Kinder?«
    »Zwei. Söhne. Beide erwachsen. Allerdings habe ich bei ihrer Erziehung kaum eine Rolle gespielt und kenne sie eigentlich gar nicht richtig.«
    Er wollte nicht, dass sich Hephzibah – Heppzibah … Heffzibah – Weizenbaum von seinen Kindern bedroht oder ausgeschlossen fühlte. Sie sollte wissen, dass in ihm noch mehr Kinder steckten.
    »Sie und ihre Mutter sind geschieden?«
    »Mütter. Ja. Nun ja, nicht gerade geschieden. Wir waren nur zusammen. Haben aber natürlich getrennt gelebt. Hielt beide Male nicht lang.«
    Er wollte auch nicht, dass sie sich von den Müttern seiner Kinder bedroht oder ausgeschlossen fühlte, ebenso wenig aber, dass sie ihn für eine Eintagsfliege, eine Einnachtfliege hielt. Also machte er irgendwas mit seinen Schultern, das sie hoffentlich für einen Ausdruck seines Kummers hielt, übertrieb es aber nicht.
    »Wenn Sie nicht darüber reden mögen …«, sagte sie.
    »Nein, nein. Die Runde hier kommt mir nur wie eine große Familie vor, und mit Familie hatte ich es nicht besonders … « – »Noch nicht«, wollte er hinzusetzen, begriff aber, wie falsch das in ihren Ohren klingen musste.
    »Idealisieren Sie uns nicht«, warnte sie ihn und wedelte dabei mit ihrer beringten Hand.
    Uns.

    Bei diesem Wort schmolz er dahin.
    »Warum nicht?«
    »Aus all den üblichen Gründen. Und bewundern Sie unsere Warmherzigkeit nicht allzu sehr.«
    Unsere.
    Treslove musterte sie gefasst, obwohl ihm war, als ob der Boden unter seinen Füßen schwankte. »Dann werde ich das auch nicht tun«, sagte er entgegenkommend. »Ich frage mich bloß, warum wir nie von Libor vorgestellt wurden, obwohl er doch, wie Sie sagen, so oft von uns gesprochen hat. Warum hat er den Mantel des Schweigens über Sie gebreitet?«
    Der Mantel des Schweigens – wohl kaum besonders taktvoll.
    Wäre er nicht noch

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