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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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vom Lesen der vier Fragen rot gewesen, wäre er spätestens jetzt rot geworden. Wenn auch wohl nicht allein aus Taktmangel, sondern auch wegen fehlender Zurückhaltung. »Wo bist du mein Leben lang gewesen?«, schien seine Miene zu fragen.
    Sie schloss den Mund und zuckte die Achseln, eine Geste, die sie, wie Treslove fand, angesichts dessen, was dabei mit der Haut unter ihrem Kinn passierte, lieber bleiben lassen sollte. Er würde ihr das auf nette Art sagen, wenn sie erst einmal verheiratet waren.
    Dann lachte sie, als hätte sie einen Moment gebraucht, um seine Frage zu verstehen. »Da wäre aber ein riesiger Mantel vonnöten gewesen«, sagte sie und zog das Schultertuch fester um sich, den Kasak oder was immer es war.
    Er wusste seine Verlegenheit kaum zu verbergen. »Tut mir leid«, sagte er.
    »Muss es nicht.«
    Er hielt ihrem Blick stand und suchte nach einer Frage, deren Antwort ihre Gesichter näher zusammenbringen würde. »Hepzibah«, sagte er. »Heffzibah …«, doch machte ihr Name ihn so unsicher, dass er über die Frage stolperte.

    Trotzdem rückte sie mit dem Gesicht näher. »Hören Sie«, sagte sie, »wenn mein Name ein zu großes Wort für Sie ist…«
    »Nein, geht schon.«
    »Wenn aber doch …«
    Diesmal zeigte er ihr die Zähne. »Glauben Sie mir, ist er wirklich nicht.«
    »Wenn aber doch, nun, meine Freunde nennen mich Juno.«
    Treslove hielt sich an der Stuhllehne fest. »Juno? Juno!«
    Sie wusste nicht, warum er so erstaunt reagierte, und strich mit den Händen an sich herab, zeigte sich, zeigte ihren Leibesumfang. Was ihre Figur anging, machte sie sich keine Illusionen. »Wie die Kriegsgöttin«, sagte sie lachend.
    Er stimmte in ihr Lachen ein. Versuchte es zumindest. Lachte jovial wie ein Kriegsgott.
    »Ich fürchte nur«, fügte sie dann rasch hinzu, »dass der eigentliche Grund weit prosaischer ist. Ich habe in der Schule nämlich die Juno in Juno und der Pfau gespielt.«
    »Juno? Kennt Jud eine Juno?«
    Verwirrt schaute sie ihn an.
    Immerhin, das war doch was, dachte Treslove. Also haben nicht alle Finkler ein Faible für Wortspiele. Dabei wäre er für sie durchaus bereit, sämtliche Tricks verbaler Spaßvogelei aus dem Finkler-Buch hochsemantischer Albernheiten zu lernen. Worte besaßen für Finkler eine numerische Bedeutung, das hatte er irgendwo gelesen. Selbst der Name Gottes war für sie ein Wortspiel und verwies auf etwas anderes. Wenn er Juno zu beziffern und zu dekodieren wüsste, würde der Name bestimmt bedeuten: Tresloves Stunde hat geschlagen.
     
    Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?
    Die Frage beantwortete sich selbst.
    Juno, Juno, Himmelherrgott!

ZWEITER TEIL

SECHS
    1
    Jeden zweiten Mittwoch traf sich Finkler, sofern Festtage und hohe Feiertage dies gestatteten, mit den Vereinsmitgliedern der ASCHandjiddn im Groucho Club in Soho. Nicht alle träumten davon, ihren Vater in den Bauch zu boxen. Manche hingen noch mit zärtlichen Banden an dem Glauben, in dem sie aufgezogen worden waren, weshalb sie sich zu Entschuldigungen genötigt sahen, wenn ein Treffen der ASCHandjiddn auf einen jener Tage fiel, die Jom Tow zu nennen sie noch jüdisch genug waren: Rosch ha-Schana, Jom Kippur, Sukkot, Simchat Tora, Schawuot, Purim, Pessach, Chanukka. »Und dies und das und sonst noch allerlei«, wie Finkler gern sagte.
    Im Falle der ASCHandjiddn war es weniger das J-Wort als das Z-Wort, dessen sie sich schämten, weshalb am Rande der Bewegung auch ein gewisses Maß an Unruhe hinsichtlich des Vereinsnamens herrschte. Wären Ursprung und Eigenart ihrer Scham und Schande nicht präziser beschrieben, wenn sie sich ASCHandzionisten nannten?
    Allein aus eufonischen Gründen hielt Finkler nichts davon, noch weniger aber aus Gründen der Logik. »Nennt euch ASCHandzionisten«, sagte er, »und ihr schließt von vornherein jemanden wie mich aus, der nie ein Zionist gewesen ist. Schlimmer noch, ihr öffnet den Verein für Nicht-Juden. Vergesst nicht, dass es dort draußen viele Menschen gibt, die sich durch den Zionismus in ihrer Menschlichkeit beschämt sehen. Wohingegen
wir uns als Juden unserer Menschlichkeit schämen. Und ich denke, gerade darauf kommt es uns doch an.«
    Ein oder zwei Vereinsmitgliedern fiel auf, dass es nach Rassismus klang, wenn der jüdischen Scham ein höherer Stellenwert als anderer Scham beigemessen wurde, doch brachte Finkler jegliches Rumoren mit dem Argument zum Verstummen, dass sie zwar kein Monopol auf das Schämen besäßen und gewiss offen

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