Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
für den Vorschlag wären, gemeinsame Sache mit anderen zu machen, die sich ebenso sehr schämten – und er selbst befürworte in dieser Hinsicht ein gewisses Maß an Ökumenismus –, nur könnten sich wohl bloß Juden auf jüdische Weise schämen. Womit gesagt sein solle, dass nur sie allein das Gefühl des Verrats zum Ausdruck zu bringen vermöchten.
Dies führte zu einer kurzen Diskussion darüber, ob »Verratene Juden« in diesem Fall nicht der bessere Name wäre, doch wusste Finkler sich erneut durchzusetzen, indem er behauptete, dass »Verraten« zu gekränkt klinge, um es sich auf die Fahne zu schreiben, besage das Wort doch implizit, dass sie nur gegen den Zionismus seien, weil sie sich auf irgendeine Weise ausgeschlossen oder verschmäht sähen, nicht aber, weil Zionismus einem Vergehen gegen die Menschlichkeit entspräche.
Falls ein oder zwei ASCHandjiddn fanden, dass Finkler hier doppelgleisig fuhr, indem er die persönliche Verletzung einerseits zur Tugend erhob und sie andererseits herabsetzte, behielten sie diesen Gedanken für sich. Vielleicht, weil die Schande für sie zugleich Zufall ihrer Biografie war und es doch auch wiederum nicht war, zugleich ein Flüstern ihres Herzens und doch auch keines, zugleich öffentlich und nicht-öffentlich, eine Schande, deren Berechtigung mal eher für Vernunft, mal eher für Poesie empfänglich war.
Man einigte sich, zumindest vorübergehend, folgender Art: Jenen ASCHandjiddn, die sich nur teilweise beschämt fühlten – soll heißen, die sich zwar als Juden für den Zionismus, nicht aber
als Juden ihres Jüdischseins schämten –, wurde es gestattet, ihre Beschämung an Rosch ha-Schana, Jom Kippur und Chanukka etc. zeitweilig auszusetzen, um sie wiederaufzunehmen, sobald erneut weltliche Kalendertage anbrachen.
Was die anderen anging, so stand es ihnen frei, auf jede erdenkliche Weise Jude zu sein. Diese Gruppe war durch und durch heterogen. Zu ihr gehörten Juden wie Finkler, dessen Scham dem gesamten jüdischen Ramsch galt und der sich keinen Deut um Feiertage scherte, aber auch Juden, die von alldem nichts wussten, da sie als Marxisten oder Atheisten aufgewachsen waren und ihre Eltern den Namen geändert hatten, ins ländliche Berkshire gezogen waren und sich Pferde hielten, und die den Mantel des Judentums nur übergestreift hatten, um ihn wieder abwerfen zu können.
Jene Logik, die es denen, die nie Zionisten gewesen waren, unmöglich machte, sich ASC Handzionisten zu nennen, galt nicht für Juden, die nie Juden gewesen waren. Um ein ASCHandjidd werden zu können, musste man nicht sein Leben lang wissentlich Jude gewesen sein. Einer von ihnen fand sogar erst bei den Aufnahmen zu einer Fernsehsendung heraus, dass er jüdische Eltern hatte, als man ihn nämlich vor laufender Kamera damit konfrontierte, wer er wirklich war. Die letzten Aufnahmen zeigten ihn weinend vor einem Denkmal in Auschwitz, wo er toter Vorfahren gedachte, von denen er bis zu diesem Moment nicht einmal gewusst hatte, dass sie die seinen waren. »Das könnte erklären, woher meine komische Ader stammt«, erzählte er später in einem Zeitungsinterview, doch hatte sich sein neues Zugehörigkeitsgefühl da bereits wieder gewandelt. Am Montag als Jude geboren, hatte er sich schon am Mittwoch bei den ASCHandjiddn eingeschrieben und wurde am folgenden Samstag gesehen, wie er vor der israelischen Botschaft rief: »Wir sind alle Hisbollah.«
Finkler war es, der den Groucho Club als Ort für ihre Versammlungen vorschlug, nachdem ihn die ASCHandjiddn für
ihre Sache gewonnen hatten. Bis dahin hatte sich die embryonale Schamtruppe in ihren Häusern in Belsize Park oder Primrose Hill getroffen, doch führte Finkler dagegen an, dass sie dadurch ihren Kampf domestizierten, ihn privat und eigennützig wirken ließen. Jenen, die davor zurückschreckten, Angelegenheiten solcher Dringlichkeit an einem Ort des Gelächters, des Alkohols zu verhandeln (schlimmer noch, an einem Ort, benannt nach einem Juden, der Witze über sein Judentum gerissen hatte), legte er die Vorteile der Öffentlichkeit dar. Es ergebe überhaupt keinen Sinn, sich im Stillen dafür zu schämen, dass man ein ASCHandjidd war. Bei ihrer Scham gehe es doch gerade darum, dass alle Welt davon erfuhr.
In Tylers Augen bedeutete die Mitgliedschaft ihres Mannes bei den ASCHandjiddn eine Art Fortsetzung seiner Rolle als reflektierter Vertreter des Showbusiness. Sie hatte ihn schon früher zu nicht-ASCHandjiddischen Angelegenheiten in den
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