Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Groucho Club begleitet und erlebt, wie er sich dort aufführte – die Großspurigkeit, mit der er draußen auf der Straße Almosen an die hochschulgebildeten Penner und Big-Issue -Verkäufer verteilte, das schwungvolle Autogramm, mit dem er im Mitgliederbuch unterschrieb, sein Small Talk mit dem Personal, das seinem Namen zum Dank einen schmeichlerischen Beiklang gab, sein unübersehbares Vergnügen, mit dem er sich unter die Filmregisseure und die Medienkollegen mit Studienabschluss mischte. Bedachte man jetzt noch, was für eine große Nummer er bei den ASCHandjiddn war, dann konnte Tyler sich genau vorstellen, wie sehr er seinen Triumph genoss – das unbescheidene Vergnügen, das es ihm bereitete, seinen Einfluss weit über die Grenzen der Philosophie auszudehnen.
Nach Tylers Tod hätte man erwarten können, dass er, der von der Gattin nun nicht länger ironisch gemaßregelt wurde, die Gelegenheit nutzte, seine Selbstzufriedenheit noch hemmungsloser auszuleben, doch zügelte er vielmehr sein Benehmen. Er
fand, er schulde es ihrem Andenken. Als wäre seine Schicklichkeit eine Art Epitaph für sie.
Er wusste, sie hätte es lieber gesehen, wenn er ganz darauf verzichten würde, ein ASCHandjidd zu sein, aber so weit konnte er nicht gehen. Die Bewegung brauchte ihn. Die Palästinenser brauchten ihn. Das Groucho brauchte ihn.
Dabei lief durchaus nicht alles wie am Schnürchen. An ruhigen Abenden verhalf ihnen ein Ecktisch im Restaurant zu dem nötigen Maß an »dort draußen sein«, doch konnte es bei regem Betrieb im Club auch geschehen, dass fremde Gäste Bruchstücke ihrer Unterhaltung aufschnappten und gelegentlich sogar glaubten, es stünde ihnen frei, sich zum Verein dazuzugesellen. Das ließ sich aushalten, solange die Kommentare der ungeladenen Gäste verständnisvoll waren und nicht allzu laut vorgebracht wurden, doch gerieten Meinungsunterschiede auch schon mal außer Kontrolle, so etwa, als sich eine Gesellschaft rote Kabbala-Armbänder tragender Beschäftigter der Musik industrie zum Abendessen traf, Wind davon bekam, wer die ASCHandjiddn waren, und versuchte, sie als Antisemiten aus dem Club werfen zu lassen. Im Verlauf der darauffolgenden recht hitzigen Auseinandersetzung fiel der Komiker Ivo Cohen zum zweiten Mal bei einem Treffen der ASCHandjiddn zu Boden (das erste Mal war dies während einer Demonstration auf dem Trafalgar Square bei einem Zusammenstoß mit Leuten geschehen, die sich Christen für Israel nannten).
»Das nenne ich ein prima Beispiel für jüdische Gesinnung«, schnaufte er pikiert und rief damit, während er sich das Hemd in die Hose stopfte, sein »Das nenne ich ein prima Beispiel für christliche Gesinnung« in Erinnerung, mit dem er damals seine Angreifer auf dem Trafalgar Square herausgefordert hatte. Er war ein kleiner, rundlicher Mann, für den jeder Fall zu Boden nur einen kurzen Sturz bedeutete. Da aber seine Bühnennummer zu einem Genre gehörte, das man marxistischen Slapstick
nannte (Karl, nicht Groucho) und ihn nötigte, ziemlich oft auf die Nase zu fallen, nahm niemand diesen Zwischenfall allzu ernst. Allerdings war der Club nicht bereit, es noch einmal zu einem vergleichbaren Vorfall kommen zu lassen, weshalb man darauf bestand, dass alle weiteren Treffen der ASCHandjiddn entweder woanders oder in einem der Privaträume im zweiten Stock stattfinden sollten.
Finkler verspürte nicht das mindeste Verlangen, diese Kabbalisten gegen sich aufzubringen, deren Lehre eine vertrackt praktische Seite an sich hatte, mit der er durchaus übereinstimmte, und die zu ihren Wahrheitssuchern auch Madonna und David Beckham zählten – von denen er annahm, dass sie seine Bücher lasen und ihn gewiss gern kennengelernt hätten –, doch fand er, eine solche Gelegenheit nicht verstreichen lassen zu dürfen, ohne sie für eine Pöbelhaftigkeit zu tadeln, die dem jüdischen Mystizismus, dessen eifrige Anhänger sie doch zu sein behaupteten, nicht gerade gut anstand. Und hinsichtlich des Vorwurfs, Antisemiten zu sein, erklärte er mit abweisender Miene: »Diese Unterstellung lässt uns eiskalt.«
Das Zitat stammte von jemand anderem, nur konnte sich Finkler nicht erinnern, von wem. Zweifellos von irgendeinem Antisemiten. Darauf kam es aber nicht an. Es zählte nicht, wer es gesagt oder was es genau zu bedeuten hatte, sondern allein, wie man es sagte und zu wem.
Zufrieden damit, wie seine Worte von den Mit-ASCHandisten aufgenommen wurden, wiederholte Finkler die Formulierung – »Die
Weitere Kostenlose Bücher