Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
in zu vielen Sendungen von Newsnight aufgetreten, zu oft bei Today zu sehen gewesen. Er hatte dem Verein ein wenig von seiner Schande genommen und auf sich selbst übertragen. Sam Finkler – der ASCHandjidd.
»Sie werden ihren Fehler bald bemerken«, hatte Tyler orakelt. »Mit einem gierigen Mistkerl wie dir an der Spitze kommen sie rasch dahinter, wie schwer es ihnen fällt, den eigenen Anteil an der Schande zu behalten.«
Doch Finkler glaubte, Neid ließe sich erkennen, etwa an der Art, wie die Leute ihn musterten, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, oder auch daran, wie sie ihm nicht länger zuhören konnten, als ob jedes Wort, das er sagte, eine Last für sie sei, was weniger zu einer persönlichen, als zu einer ideologischen Unzufriedenheit führte, sodass seine Zuhörer die Augen zusammenkniffen und sich das Gesicht rieben. War Gaza der Grund? Wussten sie, dass er ins Wanken geraten war? Er nahm nicht an, dass sie ihn durchschauten, doch verwirrten seine Mehrdeutigkeiten nicht nur die Vereinsmitglieder, sondern auch ihn selbst. In einem viel beachteten Artikel, der unter dem Titel Wie viele Augen, wie viele Zähne? veröffentlicht wurde, hatte er sich mit seinem Namen sogar in die Debatte über Unverhältnismäßigkeit eingemischt.
Schließlich wurde ihm klar, dass es nicht an Gaza lag. Das Problem war »der Boykott«.
»Der Boykott« stand stellvertretend für: ein umfassender akademischer und kultureller Boykott aller israelischen Universitäten und Institutionen. Es gab zwar aktuell noch weitere Boykottaktionen, doch der umfassende akademische und kulturelle Boykott beherrschte das Tagesgespräch und war der Boykott, der alle übrigen Boykotts überstrahlte, insbesondere deshalb, weil seine wichtigsten Förderer selbst Akademiker oder Kulturbeamte
waren, die sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen konnten, als zu einer akademischen Konferenz keine Einladung zu erhalten oder ihren neuesten Beitrag von einer Fachzeitschrift zurückgesandt zu bekommen.
Finkler war über den Boykottgedanken mit beißendem Spott hergefallen, da er ihn zum einen nicht überzeugend fand – »Was kommt als Nächstes?«, hatte er gefragt. »Will der Philatelistenverein Großbritanniens auch noch das Ablecken israelischer Briefmarken verbieten?« – und weil zum anderen dadurch Gespräche unmöglich wurden, obwohl Gespräche noch am ehesten Erfolg versprachen. »Ich bin aus Prinzip gegen alles, was Handel oder Dialog einschränkt«, hatte er gesagt, »doch das Gespräch unter Intellektuellen zu verbieten, die unsere größte Hoffnung auf Frieden sind, ist in äußerstem Maße sinnlos und aberwitzig. Damit prok lamieren wir inter alia , dass wir a) festgelegt haben, was wir denken, b) nichts davon wissen wollen, was andere denken, und c) entschlossen sind, uns nicht anhören zu wollen, was uns gegen den Strich gehen könnte.«
»Was sollten wir uns denn noch anhören?«, wollte Merton Kugle wissen. Merton Kugle war der oberste Boykotteur des Vereins. Als Privatperson boykottierte er Israel schon lange, untersuchte jedes Produkt in den Regalen seines Supermarktes, um das Herstellungsland herauszufinden und sich dann beim Manager zu beschweren, sobald er eine verdächtige Dose oder ein fragwürdiges Paket gefunden hatte. Auf der Jagd nach »rassistischen Handelsgütern« – die sich seiner Erfahrung nach meist auf den untersten Regalen in den hintersten Winkeln eines Ladens verbargen – hatte sich Merton Kugle den Rücken ruiniert und die Augen verdorben.
Finkler hielt Kugle für einen lebenden Toten, mehr noch, seine Verwesung war ansteckend. Wenn Kugle den Mund aufmachte, wollte sich Finkler nur noch in eine Ecke verkriechen und sterben.
»Es gibt immer etwas, das man sich anhören sollte«, sagte Finkler und hielt sich dabei am Tisch fest, um nicht in sich zusammenzusinken. »So wie es auch immer etwas zu sagen gibt.«
»Tja, manchen von uns fehlt die Zeit, es dich sagen zu hören«, erwiderte Kugle. »Bislang hast du uns aufgefordert, uns gegen einen Boykott israelischer Waren und Produkte auszusprechen, ebenso gegen einen Boykott touristischer Reisen nach Israel, es sei denn, die Reise brächte zufällig Vorteile für die Palästinenser, einen Boykott israelischer Athleten und Sportler …«
»Gibt doch gar keine«, warf Finkler ein.
»… einen Boykott aller Produkte aus den besetzten Gebieten, eine Aussetzung des Handels der EU mit Israel …«
»Und was ist, wenn der zufällig zum Vorteil der Palästinenser
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