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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Unterstellung, wir seien selbsthassende Juden, lässt uns eiskalt« – im Entwurf eines Briefes, der dann im Guardian erschien, namentlich unterzeichnet von zwanzig der bekanntesten ASCHandjiddn sowie von »fünfundsechzig weiteren Mitgliedern«. »Weit davon entfernt, unser Judentum zu hassen«, fuhr der Brief fort, »haben wir uns vielmehr den großen jüdischen Traditionen der Gerechtigkeit und des Mitgefühls verschrieben.«

    Ein Mitglied des Vereins kannte das Zitat und wollte es gestrichen wissen, jemand anderes fürchtete, die Wendung »selbsthassende Juden« könne aus dem Zusammenhang gerissen und gegen sie verwandt werden, so wie man beim Theater die Worte »tolles Drama« aus dem Satz »Ein tolles Drama ist das wirklich nicht« löste. Ein drittes Mitglied fragte, warum er und mehrere andere, weniger prominente ASCHandisten nicht namentlich als Briefunterzeichner genannt worden seien, sondern sich mit der ruhmlosen Subsumierung unter die »fünfundsechzig weiteren Mitglieder« abfinden müssten; ein viertes Mitglied stellte gar den Sinn von Leserbriefen an den Guardian grundsätzlich infrage.
    »Gaza brennt, und wir kabbeln uns hier über Sinn und Unsinn von Leserbriefen«, wies ihn Finkler zurecht.
    Eine Auffassung, von der sich behaupten ließe, dass sie universelle Zustimmung fand, hätte Finkler nur selbst daran geglaubt. Dabei wünschte er sich, er hätte sie nicht geäußert. Gaza hatte der Bewegung ebenso wie auch dem ganzen Land einen ungeheuren Auftrieb gegeben, doch soweit es ihn betraf – was vielleicht daran lag, dass er lieber anführte als folgte –, hätte man Gaza ebenso gut stillschweigend übergehen können. Gaza brachte es für ihn nicht. Der Philosoph in ihm schreckte vor all dem Gerede über Massaker und Gemetzel auf den Straßen zurück. Man bewahre die großen, unmissverständlichen Worte für die großen, unmissverständlichen Gelegenheiten, dachte Finkler. Außerdem war es doch unlogisch, wenn man dem Land, das er lieber nicht beim Namen nannte, wahllose, unprovozierte Gewalt vorwarf, während man sich zugleich darüber beklagte, dass die Bombardierung Gazas unverhältnismäßig sei. Unverhältnismäßig zu was? Nun, unverhältnismäßig zur Provokation. Was aber bedeutete, dass die Operation nicht unprovoziert gewesen sein konnte.
    In logischer Hinsicht war die Unverhältnismäßigkeit übrigens auch eine ziemliche Mogelpackung. Wie wollte man sie
ermessen? Heißt es Rakete für Rakete, Leben für Leben? Ist es denn, sofern Provokation vorliegt, nicht erlaubt, auf eine solche Weise Vergeltung zu üben, dass dem Ganzen Einhalt geboten wird?
    Er dachte über die Details hinaus. Die Israejeliten waren außer Rand und Band. Daran bestand für ihn kein Zweifel. Was aber im Einzelfall galt, musste auch im Allgemeinen gelten. Und es ließ sich leicht zeigen, dass das, was seine Mit-ASCHandisten in diesem Fall behaupteten, Unsinn war, sobald man es auf einen anderen Fall anwandte. Er tat, was von ihm erwartet wurde; er verfasste Briefe und saß auf Rednerpodien, doch war er mit dem Herzen nicht bei der Sache. Ihn beängstigte die Frage, ob er nicht zu vergessen begann, was er für A-SCHand hielt. Gab es so etwas wie von Gaza ausgelösten Alzheimer?
    Vor Gaza – und Gaza, hoffte er, blieb sein kleines, schmutziges Geheimnis – hatten sich die ASCHandjiddn größtenteils mit seiner De-facto - Führung zufrieden gezeigt. Man erkannte, dass er der noch jungen Bewegung den Anstrich eines populistischen Intellektualismus verlieh, der seine ursprüngliche Anwerbung für den Verein durchaus rechtfertigte.
    Kurz nach dem Kabbala-Krawall kamen sie mit dem Club überein, künftig mit einem Abendessen im Restaurant anzufangen, bei dem sie sich mit gedämpften Stimmen über Unverfängliches unterhalten würden, um sich dann in ein Privatzimmer im zweiten Stock zurückzuziehen, wo sie miteinander reden konnten, ohne fürchten zu müssen, dass jemand mithörte oder sie belästigte. Wenn gewünscht, würde sie nicht einmal ein Getränkekellner stören. Das verlieh ihren Beratungen einen klandestinen, gar gefährlichen Beigeschmack.
    Und eben hier spürte Finkler gut zwei Jahre nach seinem Beitritt zum Verein, den er, um es freiweg zu sagen, doch erst zu dem gemacht hatte, was er heute war, zum ersten Mal wachsenden Widerstand gegen seinen Einfluss. Er war sich unsicher,
woran es lag. Neid vermutlich. Selbst hehre Ziele können Neid wecken. Er hatte zu viele offene Briefe des Vereins verfasst, war

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