Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
eine Art Maskottchen. Er würde versprechen, nicht zur Last zu fallen, spätabends kein Radio mehr zu hören und nicht über Juden zu reden. Tee zu trinken und Kekse mit Professorinnen und Direktorinnen zu essen. Gespräche über das sinkende Niveau im geschriebenen wie gesprochenen Englisch zu führen. Wenigstens würden sie wissen, wer Jane Russell war.
Er änderte seine Meinung. Würden sie nicht. Außerdem waren sie nicht Malkie.
Übeltäter auf allen Seiten, ja. Und das Wort. Was hatte sie gerade über das Wort gesagt? Seine aufwiegelnde Macht? Nun, diesen Hang hatten seine Worte nie gehabt. Aufzureizen, das ja, aber niemals aufzuwiegeln. Dafür fehlte ihm der nötige Ernst.
»Es ist ein großer Unterschied«, erinnerte er sie, als schäme er sich für das, was er mit seinem Leben angefangen hatte, »ob man über Anita Ekbergs Busen oder über Recht und Unrecht des Zionismus schreibt.«
Das aber war keine Nettigkeit jener Kategorie, über die sie mit ihm sprechen wollte. »Ich sage dir, Libor, worin der große Unterschied besteht. Der große Unterschied ist zwischen Verständnis
– ha! – und Freispruch. Doch nur Gott allein kann uns die Absolution erteilen, das weißt du.«
Er wollte ihr sagen, dass sie sein Mitgefühl habe, er ihr aber nicht helfen könne. Dass er unfähig sei, ihr zu helfen, und dass es darauf sowieso nicht ankomme. Auf nichts kam es an. Nur gelang es ihm nicht, die richtigen Worte zu finden, mit denen er Emmy Oppenstein sagen konnte, dass es letztlich auf nichts ankam.
Ist ja nicht die » Kristallnacht«, dachte er.
Aber das konnte er ihr nicht sagen.
Er hatte seine » Kristallnacht« gehabt. Malkies Sterben – ohne dass Gott, soweit er wusste, auch nur einem von ihnen die Absolution erteilt hatte –, was konnte es Schlimmeres geben?
Aber das konnte er auch nicht sagen.
»Ich kenne ein paar Leute, mit denen werde ich reden.« Was Besseres konnte er ihr nicht bieten.
Und sie wusste, er würde nichts tun.
Im Gegenzug – im Gegenzug für nichts außer ihrer alten Liebe – gab sie ihm die Telefonnummer einer Trauerberaterin. Er sagte, er brauche keine Trauerberaterin. Sie legte ihm eine Hand an die Wange, eine Geste, die besagte, dass jeder einen Trauerberater brauche. »Denk einfach nicht an Trauerberatung oder Therapie. Stell es dir wie ein Gespräch vor.«
Und was war dies? Etwa kein Gespräch?
»Eine andere Art von Gespräch, Libor.« Und es würde nichts bringen, erk lärte sie, wenn sie selbst bei ihm die Trauerberatung machte.
Er konnte unmöglich sagen, ob es ihn enttäuschte, dass es ihr nichts brachte, ihn zu beraten. Um das herauszufinden, hätte er jenen Winkel in sich aufspüren müssen, in dem die Erwartung ruhte. Aber das konnte er nicht.
SIEBEN
1
Abgemacht war, dass Treslove mit seinen Söhnen in den Urlaub fuhr, und dann wollte man weitersehen.
Kopf, er setzte sein früheres Leben fort, vergaß den ganzen Unsinn, sah aus wie Brad Pitt und kehrte am Abend zu einer vernünftigen Uhrzeit alleine nach Hampstead in seine Wohnung zurück, die nicht in Hampstead lag.
Zahl, er zog bei Hephzibah ein.
»Ich will nicht in meiner Wohnung Platz schaffen, nur damit du in vierzehn Tagen wieder deine Meinung änderst«, sagte sie. »Was nicht heißen soll, dass es mit uns was fürs Leben wäre, Gott bewahre, aber wenn du ernsthaft was durcheinanderbringen musst, dann nur, weil du es wirklich willst, und nicht, weil du gerade nichts Besseres mit dir anzufangen weißt.«
Er hatte ihr vom Überfall erzählt, doch schien sie dem nicht allzu viel Gewicht beizumessen. »Das meine ich ja, wenn ich davon rede, dass du offenbar nichts Besseres mit dir anzufangen weißt«, sagte sie. »Du stiefelst durch die Gegend, den Kopf in den Wolken, lässt dir dein Handy klauen, wie es uns allen früher oder später mal passiert, und denkst gleich, Gott hätte dich berufen. Dabei hast du bloß nicht genug zu tun. In deinem Kopf ist zu wenig los und, so wie du dich anhörst, auch in deinem Herzen.«
»Du warst bei Libor.«
»Mit Libor hat das nichts zu tun. Das kann ich mit eigenen Augen sehen, und gemerkt habe ich es schon, als ich dich zum
ersten Mal sah. Du hast nur darauf gewartet, dass über dir die Decke einfällt.«
Er machte Anstalten, sie zu küssen. »Ist sie dann ja auch«, sagte er übertrieben schmeichelhaft.
Sie schob ihn von sich. »Jetzt bin ich deine Decke!«
Er glaubte, vor lauter Liebe zu ihr müsste ihm das Herz schmelzen. Sie war so jüdisch. Jetzt bin ich deine
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