Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
hieß es entweder zur BBC oder gleich der katholischen Kirche beitreten.«
»Blödsinn«, sagte sie. »Ich bin nicht hingegangen, um eine neue Identität zu finden.«
»Weil du eine Ausnahme bist, genau wie ich gesagt habe. Die Juden, vor allem die Jüdinnen, die ich bei der BBC kannte, konnten es kaum erwarten, ihre jüdische Geschichte hinter sich zu lassen. Sie zogen sich an wie Debütantinnen, redeten wie unmaßgebliche Mitglieder des Königshauses, lasen den Guardian und wichen entsetzt zurück, wenn ich Isrrrae auch nur erwähnte. Man hätte glauben können, wir würden von der Gestapo belauscht. Dabei wollte ich nur mit ihnen ausgehen.«
»Warum solltest du auch Isrrrae erwähnen – und können wir bitte aufhören, es so zu betonen –, wenn du nur mit ihnen ausgehen wolltest?«
»Small Talk.«
»Hast du dich schon mal gefragt, ob sie vielleicht glaubten, dass du sie nicht anschauen konntest, ohne an die jüdische Geschichte zu denken?«
»Und? Warum hätte das für sie ein Problem sein sollen?«
»Weil Juden nicht aussehen wollen, Julian, als stünde ihnen bloß die eigene Geschichte ins Gesicht geschrieben.«
»Sie sollten stolz darauf sein.«
»Das zu sagen steht dir wohl kaum an. Aber egal, ich kann dir jedenfalls versichern, dass ich niemals etwas Ähnliches erlebt habe. Ich hätte auch etwas dagegen unternommen. Jude ist durchaus nicht das einzige Wort in meinem Vokabular, doch lasse ich deshalb noch lange nicht zu, dass mein Judentum veralbert wird. Ich kann schon auf mich aufpassen.«
»Daran zweifle ich ja auch nicht.«
»Das heißt aber keineswegs, dass ich es anderen Juden nicht zugestehe, so lauwarm mit ihrem Judentum umzugehen, wie es ihnen gerade passt. Okay?«
»Okay.«
Sie küsste ihn. Ja, sehr okay.
Später kam er noch einmal auf das Thema zurück. »Du solltest Libor fragen, was er darüber denkt«, sagte er. »Er hat beim World Service nämlich ähnliche Erfahrungen gemacht.«
»Ach, Libor ist ein alter, tschechischer Reaktionär.«
Dabei hatte sie längst mit Libor geredet, allerdings nicht über jüdischen Antisemitismus bei der BBC, sondern über Treslove. War er echt? Oder nahm er sie auf den Arm? War er wirklich das Opfer eines antisemitischen Überfalls geworden? Konnte Libor die Hand für ihn ins Feuer legen?
Ja, nein, wer weiß und absolut, antwortete Libor. Er hatte Treslove schon als Schuljungen gekannt und hatte ihn wirklich gern, doch ob er einen guten Ehemann abgebe …
»Ich bin nicht auf der Suche nach einem Ehemann.«
… das könne nur die Zeit zeigen. Er hoffe jedenfalls, sie würden miteinander glücklich. Mit einer Einschränkung.
Sie sah ihn erschrocken an.
»Nun, ich verliere einen Freund.«
»Warum solltest du ihn verlieren? Im Gegenteil, er wohnt dann nicht mehr so weit weg. Und du kannst zum Mittagessen kommen.«
»Sicher, aber er wird nicht mehr einfach zu mir kommen,
wenn ich ihn anrufe. Und ich bin zu alt, um mich lange im Voraus zu verabreden. Ich lebe jetzt von einem Tag zum nächsten.«
»Ach, Libor, ist doch Unsinn.«
Allerdings fiel ihr auf, dass er nicht gerade vor Gesundheit strotzte.
»Vor Gesundheit strotzte? Er ist fast neunzig und hat vor Kurzem seine Frau verloren. Ein Wunder, dass er überhaupt noch atmen kann.«
Treslove drehte sich im Bett um und betrachtete das Wunder, das sein Leben veränderte. Nie zuvor hatte er sein Lager mit jemandem ihres Umfangs geteilt. Manche der Frauen, mit denen er geschlafen hatte, waren so schmächtig gewesen, dass er beim Aufwachen nicht immer gewusst hatte, ob sie noch da waren. Er musste unter der Decke nach ihnen suchen. Und oft genug waren sie nicht mehr da gewesen, waren auf und davon. Hatten sich am frühen Morgen lautlos fortgeschlichen, flink wie eine Ratte. Wenn Hephzibah sich im Schlaf auch nur leise regte, wogte Tresloves Betthälfte wie der Atlantik. Er musste sich an der Matratze festhalten. Seinem Schlaf tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil, er schlief so gut wie noch nie, selig in dem Wissen, dass sie an seiner Seite lag – sollte sie sich nur so heftig herumwerfen, wie sie wollte – und sich nirgendwohin fortschlich.
Er begriff jetzt, wofür Kimberley gut gewesen war. Sie war ihm geschenkt worden, um ihn nachgiebiger zu machen. Um ihn von den ausgezehrten Frauen zu entwöhnen. Sie war seine Raststelle auf halbem Weg zu Hephzibah gewesen, zu seiner Juno.
Sie war kein Gebirge, seine Juno. Er wusste nicht einmal, ob es fair wäre, sie beleibt zu nennen. Sie bestand
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