Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
einfach aus anderem Material als die Frauen, die er gewohnt war. Er dachte an Ligurien, an die Frau, die aus dem Swimmingpool gestiegen war, und an ihre untere Bikinihälfte, nass und locker, genau wie ihre Haut, zugleich knapp und schlaff, als wäre die ihr zubemessene
Menge Fleisch noch zu viel für ihr Knochengestell. Hephzibah dagegen nahm ihre ganze Gestalt ein, so sah er das. Sie war körperlich mit sich im Gleichklang. Sie füllte sich aus. Ohne Kleider war sie übrigens gar nicht so korpulent, wie er befürchtet hatte, sie hatte keine Speckrollen, kein überflüssiges Fett. Wenn überhaupt, dann war sie prall und kräftig und höchstens am Hals ein wenig zu dick. Folglich sah sie ohne Kleider noch besser aus als mit. Er hatte sich vor dem gefürchtet, was die purpurfarbenen und kastanienbraunen Roben und Tücher aus dem Hampstead Bazaar verbergen mochten, doch siehe, als sie sich auszog, war sie schön! Hunoesk.
Die große Überraschung war der helle Ton ihrer Haut. Hell in der Farbe, zart bei der Berührung. Jedes Mal, wenn er Finkler traf, änderten sie die Regeln, an die sich doch alle Finkler halten sollten. Sam Finkler war nicht dunkel und kompakt, sondern rot und spinnenhaft. Libor war ein Dandy, kein Gelehrter. Und hier war Hephzibah, deren Name Bauchtanz und Basare heraufbeschwor, die Erinnerung an das Parfüm, das man aus dem arabischen Laden in die Oxford Street versprühte, deren Aussehen aber, hatte man sie einmal aus ihren Kleidern geschält … erst dachte er an polnisch oder ukrainisch, doch je länger er sich an ihrer Nacktheit gütlich tat, desto mehr dachte er an skandinavisch, vielleicht sogar baltisch. Sie könnte die Galionsfigur eines estnischen Fischkutters sein – des Lembitu, des Veljo –, der im Rigaischen Meerbusen Hering fischte. An der Universität hatte er ein Seminar über nordische Sagen belegt. Jetzt wusste er warum. Um sich auf seine Brunhild vorzubereiten. So wie ihn die Freundschaft mit Finkler und Libor darauf vorbereitet hatte, dass seine Brunhild Jüdin war.
Es gab keine Zufälle. Alles hatte eine Bedeutung.
Es war wie eine religiöse Bekehrung. Wachte er auf und sah Hephzibah, wie sie sich ihm entgegenhievte, fühlte er eine unsägliche Freude, fast, als hätten das Universum und sein
Bewusstsein davon sich wundersamerweise vereint, weshalb es nichts Unharmonisches mehr in ihm oder außerhalb von ihm gab. Er liebte nicht nur Hephzibah, er liebte die ganze Welt.
Mein Gott, wie viel sprach doch fürs Judentum!
Ihr zuliebe, gab er es auf, als Double zu arbeiten. Sie fand es entwürdigend, jemand anderen darzustellen. Jetzt, da er sie gefunden hatte, sei es für ihn an der Zeit, er selbst zu sein.
Dank fürsorglicher Eltern und zweier einträglicher Scheidungen mangelte es Hephzibah nicht an Geld. Zumindest war der Mangel nicht so groß, dass Treslove sich nicht eine Auszeit nehmen und darüber nachdenken konnte, was er mit sich anfangen wollte. Wie wäre es mit einer Rückkehr in die Kulturverwaltung? Hephzibahs Vorschlag. Jede Stadt, jedes Dorf in England hatte mittlerweile ein eigenes Literaturfestival, da suchte man doch sicher händeringend nach Leuten mit seinem Wissen und seiner Erfahrung. Oder er gründete ein eigenes Festival in der Abbey Road, ganz in der Nähe der Studios und des Museums. Zwischen den Beatles und den Juden, ein St. John’s Wood Festival der schreibenden und darstellenden Kunst. Wie wäre es denn mit einer Dauerausstellung von BBC-Grausamkeiten? Sein Vorschlag. Hephzibah hielt nichts davon.
Von der Festivalidee war er sowieso nicht begeistert. Er dachte an die Frau, die beim Sex ihre Birkenstocks anbehielt. Nein, von der Kunst hatte er genug.
Er fragte sich, ob er sich zum Rabbi ausbilden lassen sollte.
»Das könnte schwierig werden«, sagte sie.
Er war enttäuscht. »Und zum Laienrabbi?«
Sie wusste nicht genau, ob das Laientum von den Juden ähnlich anerkannt wurde wie von der anglikanischen Kirche. Vielleicht kannte das liberale Judentum so etwas wie Laiengeistliche, doch nahm sie an, dass dafür strenge jüdische Kriterien erfüllt werden mussten. Außerdem gab es da noch den Rekonstruktionismus,
ihres Wissens aber nur in Amerika, und sie wollte nicht mit ihm nach Amerika ziehen und dort leben.
Eigentlich wollte sie überhaupt nicht, dass er Rabbi wurde. Punkt.
»Man kann sich auch eine Auszeit vom Judentum wünschen«, sagte sie.
Er sagte, er hoffe nicht, dass sie deshalb mit ihm zusammen sei.
Das nicht, sagte sie, doch
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