Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
hätte sie zwei jüdische Ehemänner gehabt und wolle nun zwar keinesfalls auch nur für einen Moment andeuten, dass sie beide vorhätten, sich ewiglich zu binden, doch sei sie erleichtert, nicht mit einem dritten jüdischen Mann zusammenzuleben. Jedenfalls nicht mit einem Juden im herkömmlichen Sinne, fügte sie rasch hinzu.
Dann hatte sie eine tolle Idee. Wie wäre es, wenn er ihr beim Aufbau des Museums helfen würde? In genau welcher beruflichen Eigenschaft, könne sie zwar erst sagen, wenn sie mit dem Philanthropen und seinem Gremium gesprochen habe, doch würde sie seine Hilfe in welcher Form auch immer zu schätzen wissen, und sei es nur, dass er sich gründlich umschaute.
Er war begeistert und wartete ihr Gespräch mit dem Gremium gar nicht erst ab, sondern verlieh sich gleich selbst einen Titel: Stellvertretender Kurator des Museums für anglo-jüdische Kultur.
Darauf hatte er sein Leben lang gewartet.
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Finkler dagegen hatte keineswegs sein Leben lang darauf gewartet, von einem Komiker der ASCHandjiddn heruntergeputzt zu werden.
Vor allem nicht von einem Komiker wie Ivo Cohen, der es lustig fand, ständig auf die Nase zu fallen.
Auf eigene Veranlassung hin hatte Finkler begonnen, die ASCHandjiddn nur noch ASCH zu nennen, also jenes Kürzel zu verwenden, das er bereits an dem Tag vorgeschlagen hatte, an dem er dem Verein beigetreten war. »Wir im ASCH«, sagte er in einem Zeitungsinterview über seine Arbeit bei den ASCHandjiddn und hatte diese Formulierung im Frühprogramm eines Radiosenders wiederholt.
»Zum einen gibt es bereits einen Verein ASCH«, sagte Ivo Cohen. »Eine Anti-Raucher-Organisation, mit der ich, als jemand, der dreißig am Tag raucht, nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Zum anderen klingt ASCH, als hätte man uns lebendig verbrannt.«
»Und drittens«, warf Merton Kugle ein, »hat ASCH zu große Ähnlichkeit mit AISH.«
AISH war eine Bildungsorganisation und ein Dating-Portal für junge orthodoxe Juden, unter anderem mit dem Ziel, Reisen nach Israel zu fördern.
»Ziemlich unwahrscheinlich, dass man uns damit verwechselt«, sagte Finkler.
»Wir wollen ja nur«, sagte Merton Kugle, »dass Sie nicht unseren Namen ändern, ohne vorher mit uns darüber geredet zu haben. Dies ist schließlich nicht allein Ihr Verein.«
Die ungelöste Boykottfrage machte Kugle außerdem noch zu schaffen. Inzwischen war er nämlich dazu übergegangen, israelische Produkte aus seinem Supermarkt zu stehlen, wofür er regelmäßig verhaftet wurde.
Merton Kugle, laut Finkler ein saftloser Widersacher, ein starrgesichtiger Blogger, den kein Mensch las, ein Aktivist, der nichts und niemanden aktivierte – a nebech, a nischtikajt, a nebechl: Manchmal brachte es selbst für Finkler nur das Jiddische auf den Punkt – a gornischt , der jedem Antizionisten-Verein angehörte, den es nur gab, aber auch einigen, die es nicht gab, obwohl manche von extremen Muslimen gesponsert wurden, die annahmen,
Kugle träume als Jude von einer Weltverschwörung, während andere die Ansichten von ultraorthodoxen Juden vertraten, mit denen Kugle unter gewöhnlichen Umständen nicht das Geringste zu tun gehabt hätte, doch sobald Antizionist in großen oder kleinen Buchstaben auftauchte, trat Kugle bei.
»Ich bin ein Jude dank der Tatsache, dass ich kein Zionist bin«, hatte er kürzlich in einem tiefsinnigen Blog geschrieben.
Wie kann man, wollte Finkler wissen, irgendwas dank dessen sein, was man nicht ist? Bin ich Jude dank der Tatsache, dass ich kein Schwarzfußindianer bin?
Finklers Blick wanderte im Zimmer umher und traf auf den der blinzelnden, rotlidrigen Oralsoziolog in und Soziopsycholog in Leonie Leapmann. Finkler kannte Leonie Leapmann aus Oxford, als sie noch Literaturtheoretikerin und berühmt für ihre kurzen Röcke war. In jenen Tagen hatte sie einen Urwald flammend roter Haare gehabt, leuchtender als sein eigenes fahles Orangerot, eine Mähne, die sie beim Hinsetzen um sich drapierte, die nackten Knie ans Kinn gezogen, sodass sie wie eine nur mit ihrem Fell bekleidete Katze aussah. Inzwischen trug sie das Haar kurz geschoren, und das Feuer war fast ganz erloschen. Die kurzen Röcke waren ebenfalls verschwunden, abgelöst von ethnischen Leggins jeglicher Couleur, heute von einem Paar Hare-Krishna-Reithosen mit Hängezwickel. Finkler verstand diese Mode nicht. Warum wollte eine Frau ein Kleidungsstück tragen, in dem sie wie ein übergroßes Baby aussah, das sich in die Hose gemacht hatte? Sein
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