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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Puppe.
    »Jean Norman«, sagte sie und streckte einen Arm aus, der so lang war, dass sie um ihn herum und hinter seinen Rücken fassen konnte, um an den Fäden zu ziehen.
    Jean Norman. So ein schlichter Name für eine derart exotische Persönlichkeit, dachte er, bestimmt hat sie ihn nur angenommen, um die Trauernden zu beschwichtigen. Wahrer Name: Adelgonda Remedios Arancibia.
    Er tat es Emmy zu Gefallen. Ginge es nach ihm, hätte er sich nicht die Mühe gemacht. Welche Gefühle konnte eine Beratung schon in ihm wecken? Sollte er sich etwa über seine Zukunftsaussichten freuen?
    Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Emmys Bitte um Hilfe nicht erfüllen konnte. Finkler war der in der Öffentlichkeit
bekannteste Mensch, mit dem er noch in Kontakt stand, und Finkler würde sich kaum gegen einen Filmregisseur aussprechen, der verstand, warum man Juden töten wollte. Ganz im Gegenteil, denn soweit Libor wusste, waren die beiden engen Freunde.
    Zur Trauerberaterin zu gehen war somit das Zweitbeste, was er für Emmy tun konnte.
    Jean Norman. Wahrer Name: Adelaïda Inessa Uljana Miroschnichenkop.
    Sie wohnte in Maida Vale, gar nicht weit von Treslove, nur hätte Treslove es Hampstead genannt, das heißt, sie wohnte unweit von dort, wo Treslove gewohnt hatte, ehe er zu Libors Großgroßgroßnichte zog. Libor wäre es lieber gewesen, die Beratung fände in einer Klinik oder einem Krankenhaus statt, doch führte ihn Jean Norman ins Vorderzimmer ihres Hauses.
    Sie habe, erklärte sie, sich zur Ruhe gesetzt, mache aber noch Trauerberatung …
    Libor dachte, sie würde fortfahren, dass es für sie ein Hobby sei oder dass sie nicht aus der Übung kommen wolle, doch ließ sie den Satz in der Luft hängen wie eine Leiche am Seil …
    Das Haus war groß, das Zimmer aber, in das sie Libor führte, war winzig, fast ein Puppenzimmer. An den Wänden Drucke mit ländlichen Szenen. Schäfer und Schäferinnen. Auf dem Kaminsims eine Sammlung von Fingerhüten aus Porzellan. Jean Norman ist zu groß für dieses Zimmer, dachte Libor. Sie musste sich gleichsam dreimal falten, um in den Sessel zu passen. Angesichts ihrer Größe kam Libor sich blöd vor. Selbst wenn sie saßen, musste er zu ihr auf blicken.
    Sie hatte eine edle römische Nase mit weit geöffneten, dunklen Nüstern, in die Libor, da ihm nichts anderes übrig blieb, hinaufstarrte. Trotz ihrer Fremdartigkeit umgab Jean Norman ein Hauch von Fraueninstitut, der Anschein eines verhaltenen, prüden, provinziellen Glamours, der so viel Eindruck machte,
wenn Frauen ihres Schlags für einen Wohlfahrtskalender die Kleider ablegten. Libor vermutete, dass sie lange Hängebrüste und einen tiefen, dunklen, offenen sizilianischen Nabel hatte.
    Er fragte sich, ob ihre Fähigkeit, ihn sie sich ohne Kleider vorstellen zu lassen, obwohl sie vom Hals bis zu den Knöcheln angezogen war und nie auch nur eine entfernt anzügliche Geste machte, zu ihrer Trauerberatungstechnik gehörte.
    Sie sprachen kurz über Emmy. Emmy hatte ihr erzählt, wer Libor war. Jean Norman kannte seine Artikel und beschrieb ein oder zwei sogar ziemlich genau. Es hatte berühmte Fotos gegeben. An einige konnte sie sich erinnern. Libor lachend mit der Garbo. Libor auf dem Bett mit Jane Russell, wobei Libor von den beiden derjenige war, der weniger männlich wirkte. Libor wie er mit Marilyn Monroe tanzte, Wange an Wange, angesichts ihrer vielen Unterschiede eine unmögliche Parodie romantischer Liebe.
    »Sie hätten mich mit meiner Frau tanzen sehen sollen«, sagte Libor.
    Er sagte es ihr zu Gefallen, so wie er mit seinem Kommen Emmy einen Gefallen erwies. Offenbar war dies seine Rolle. Gefallen zu erweisen und zu trauern.
    Erleichtert registrierte er, dass sie keinen Unsinn über den Tod geliebter Angehöriger redete – er hasste den Ausdruck »geliebte Angehörige«; es gab keine geliebten Angehörigen, es gab nur seine geliebte Malkie – oder Zyklen der Gefühle, Pfade der Trauer.
    Noch, wofür er ebenso dankbar war, musterte sie ihn heimlich mit gefühlvollem Blick. Sie grämte sich nicht für ihn. Sie überließ ihn seinem eigenen Gram.
    Je mehr Zeit verstrich, desto schwerer fiel es ihm, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Jean Norman. Wahrer Name: Fruzsina Orsolya Fonnyasztó.
    Er schaute weiterhin in ihre Nüstern hinauf, in denen es so angenehm dunkel und still war.

    Was er ihr antwortete, wusste er nicht. Er gab seinen Gefühlen Worte. Er schauspielerte Trauer. Er sagte, was seiner Meinung nach Trauernde in

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