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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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dritt hatten sie dagesessen und darauf gewartet, dass sich ihr Mahl abkühlte, um dann schweigend zu essen. Abwasch gab es keinen. Nur die Eierpfanne und drei Teller.
    Finkler atmete die Gerüche von Hephzibahs verwüsteter Küche ein – hätten die Kosaken darin gehaust, sähe sie sauberer aus – und sagte: »Aaaah, mein Leibgericht.«
    »Sie wissen doch noch gar nicht, was es gibt.« Hephzibah lachte.
    »Trotzdem mein Leibgericht«, erwiderte Finkler.
    »Nennen Sie mir auch nur eine einzige Zutat.«
    » Treif .«
    Treslove wusste, was treif bedeutete. Treif war alles, was nicht koscher war.
    »Doch nicht in meiner Küche«, rief Hephzibah in gespieltem Entsetzen. »Mein Julian würde nichts treifes essen.«
    Mein Julian. Musik in Tresloves Ohren. Schubert, gespielt von Horowitz, Bruch, gespielt von Heifetz.
    »He, Sam – D’Jew know a Jewno ?«
    Ein Geräusch wie ein Gurgeln stieg aus Finklers Kehle auf. »Haben Sie den alten Knaben gekaschert?«
    »Er hat sich selbst gekaschert.«

    Es beunruhigte Treslove – mein Julian hin oder her –, den beiden Finklern dabei zuzusehen, wie sie einander beäugten und sich gegenseitig sprachlich herausforderten. Er kam sich wie’s Schweinchen in der Mitte vor. Hephzibah war seine Frau, seine Geliebte, seine Juno, doch schien Finkler zu glauben, dass er ältere Anrechte hatte. Es war, als sprächen sie eine geheime Sprache, die Geheimsprache der Juden.
    Ich muss ihre Sprache lernen, dachte Treslove. Muss den Code knacken, bevor meine Stunde schlägt.
    Zugleich war er stolz auf Hephzibah, weil ihr gelang, was er nicht schaffte. In nur zwanzig Sekunden drang sie tiefer in Finklers Seele vor, als es ihm je geglückt war. In ihrer Gesellschaft wirkte er sogar entspannt.
    Als dann Libor kam, fühlte sich Treslove erst recht in der Minderzahl. Hephzibah übte einen unerwarteten Einfluss auf seine beiden Gäste aus – sie ließ ihre jüdischen Unterschiede verschwinden.
    »Nu?«, wollte Libor von Finkler wissen, als er ihn sah.
    Treslove wusste nicht, ob er es so richtig wiedergab. Wollte man »nu« von jemandem wissen? Oder gebrauchte man es intransitiv? War es überhaupt eine Frage im klassischen Sinn? »Nu « , sagte er. Wäre das besser gewesen? »Nu« hieß so viel wie: Wie geht’s denn?, aber auch: Ich weiß, wie es um dich steht.
    So viel zu lernen.
    Zu seiner Überraschung antwortete Finkler im selben Ton. Wäre Hephzibah nicht gewesen, hätte er Libor für seine jüdischen Barbarismen gegeißelt, doch heute überbot er jeden Rabbi, als er sagte: » A halber emes is a gantser lign. «
    »Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge«, flüsterte Hephzibah ihm zu.
    »Weiß ich doch«, log er.
    »Und wer hat dir die Halbwahrheiten erzählt?«, fragte Libor.
»Wer nicht?«, gab Finkler zurück, wollte sich aber nicht weiter darüber auslassen.
    Nu war also keine bohrende Frage. Man musste nicht antworten. Nu ließ Ausflüchte im Namen unserer aller unvollkommenen Menschlichkeit zu.
    Kapiert, dachte Treslove.
    Wie in der guten alten Zeit fiel Libor jedoch beim Essen über Finkler her. »Doch nicht etwa deine jüdischen Antisemitenfreunde? «
    »Wie? Nicht meine jüdischen Antisemitenfreunde?«
    Normalerweise, das wusste Treslove, bestritt Finkler, dass es sich bei seinen jüdischen Freunden um Antisemiten handelte.
    »Haben sie dir Lügen erzählt?«
    »Sie sind so fehlbar wie wir alle«, sagte er.
    »Dann hast du die Nase schon von ihnen voll? Das ist gut.«
    »Gut«, sagte Finkler, »ist das hier …« Er nahm sich von allem einen Nachschlag. Hering in Rotweinsoße, Hering in Weißweinsoße, Hering in Sahnesoße, in Crème fraîche, in Essig, Hering um eine Olive gerollt, durchbohrt von einem Zahnstocher, Hering auf eine Art klein gehackt, die angeblich neu war, und natürlich Hering auf alte Weise gehackt – Hering frisch aus der Nordsee, hergebracht auf einem Kutter mit Hephzibah als Galionsfigur, eine Brust entblößt – und dann das eingelegte Fleisch, die Pastrami, der geräucherte Lachs, Eier mit Zwiebeln, gehackte Leber, Käse ohne Geschmack, Blintses, Tzimmes, Tscholent. Nur der Tscholent – ein Schtetl-Eintopf mit Fleisch, Bohnen und Gerste, von Hephzibah Libor zu Ehren, der allein schon deswegen gern herkam, auch tschechischer Eintopf genannt – war heiß. All die fauchenden Flammen, die qualmenden Töpfe, und das, was auf den Tisch kam, war – bis auf den Tscholent – kalt.
    Treslove staunte. Schier unergründlich waren die Wunder, die seine Frau

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