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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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niemand recht einen Namen zuordnen konnte – die Volksrepublik von Ethnograd war noch das Beste, was Finkler einfiel –, wohingegen Tamara in der Öffentlichkeit stets wie die Managerin einer Modeberatung auftrat, zugleich geschäftsmäßig und auf sanfte Weise feminin.
    Finkler wartete und musterte sie unterdessen. Von der Figur her erinnerte sie ihn an seine verstorbene Frau, nur wirkte sie zugleich härter und zerbrechlicher. Ihm fiel auf, dass sie ihre Finger beim Reden wie Krallen in die Luft schlug und dann wahllos die Hände ballte, als wollte sie das Leben aus jeder Idee pressen, die nicht von ihr stammte. Scheinbar grundlos malte er sich aus, wie sie in seinen Arme schrie. Musste etwas damit zu tun haben, wie sie gebaut war, vielleicht auch mit der Atmosphäre psychischer Desintegration, die sie verbreitete. Psychische Desintegration war für sie übrigens genau das, was die Geschichte des modernen Israel ausmachte. Irre geworden durch den Holocaust, nicht zuletzt durch die eigene Machtlosigkeit und Passivität, zermarterten sich die Juden wegen der Palästinenser nun noch das letzte bisschen Hirn und nannten es Selbstverteidigung. Finkler hielt nichts von dieser Theorie des Irrsinns, der Irrsinn gebar, doch die Gelegenheit, ihr das zu sagen, wollte er sich für den Tag aufsparen, an dem sie in seinen Armen schrie.
    Bei ihrem letzten Besuch in Palästina, berichtete Tamara – es war, als erzähle sie dem Verein von ihrem Urlaub, ja, Finkler wartete nur darauf, dass sie die ersten Schnappschüsse zückte –, habe sie sich mit einigen Repräsentanten der Hamas getroffen, um ihrer Sorge hinsichtlich des kürzlich den Palästinensern aufgezwungenen Islamisierungsprogramms Ausdruck zu verleihen, zu dem es gehörte, am Strand unangemessen gekleideten
Frauen ins Gewissen zu reden, Ladenbesitzer zu schikanieren, die offen westliche Damenunterwäsche verkauften, Schüler in den Schulen nach Geschlechtern zu trennen und ganz allgemein die Menschenrechte der Frauen immer weiter zu beschneiden. Tamara schreckte auch nicht davor zurück, die Hamas damit zu konfrontieren, dass all das sich negativ auf die Unterstützung auswirke, mit der man ansonsten vonseiten gleich gesinnter Gruppen in Europa und Amerika rechnen könne. Hingerissen stellte sich Finkler vor, wie die Führung der Hamas vor der herrlich aufgebrachten Feministin erzitterte. Ob sich die Männer auch ausmalten, wie Tamara in ihren Armen schrie?
    »Nicht gut«, sagte er.
    »Nein«, gab sie ihm recht, »überhaupt nicht gut. Vor allem nicht, weil wir damit rechnen müssen, dass sich die Prozionisten darauf stürzen und darin einen Beweis für Extremismus und Intoleranz der Hamas sehen werden. Wohingegen …«
    Tamara Krausz holte tief Luft. Finkler atmete mit ihr.
    »Wohingegen …«, sagte er.
    »Wohingegen die Wahrheit lautet, dass das, was hier geschieht, eine direkte Folge der illegalen Besetzung ist. Man kann ein Volk nicht isolieren, die natürliche Verbindung zum eigenen Land trennen, es demütigen und aushungern und dann erwarten, dass dies nicht in Extremismus mündet.«
    »Ganz gewiss nicht«, meldete sich Leonie zu Wort.
    »Nein«, fuhr Tamara rasch fort, ehe Leonie noch mehr sagen konnte. »Ich habe mit Avital darüber geredet, und er ging sogar so weit anzudeuten, dass dies die düstere Erfüllung einer von Israel gewollten Politik sei. Man werfe Gaza immer weiter auf sich selbst zurück, bis der Westen Israel anfleht, es doch endlich wieder zu erobern.«
    »Oje«, sagte Finkler.
    »Ich weiß«, erwiderte sie, und ihre Blicke trafen sich.
    »Wie geht’s Avital?«, fragte er dann unvermittelt.

    Tamara Krausz blickte ihm offen ins Gesicht; Finkler war, als würde ihm eine Blume überreicht. »Nicht besonders«, antwortete sie. » Allerdings gäbe er das niemals zu. Er ist unermüdlich.«
    »Ja, das ist er«, sagte Finkler. »Und Navah?«
    »Gut, ihr geht es gut, Gott sei Dank. Sie ist seine rechte Hand.«
    »Was Sie nicht sagen.« Finkler lächelte, reichte ihr seinerseits eine Blume.
    Das Wissen darum, dass solch ein Moment von Insider-Vertrautheit die anderen in den Wahnsinn trieb, erfüllte ihn mit stiller Befriedigung. Er meinte fast hören zu können, wie Kugles Herz verschrumpelte.
    Nur Poker bereitete ihm ein vergleichbares Vergnügen.
    3
    Libor ging zu der Trauerberaterin, die Emmy ihm empfohlen hatte. Eine dunkle, hochgewachsene Frau, groß genug, um ihn auf ihren Knien reiten zu lassen, als wäre sie eine Bauchrednerin und er ihre

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