Die Finsteren
und ein Leben nach dem Tod. Dennoch blieb sein sterblicher Körper ein Sklave seiner Instinkte. Er wollte leben. Aber was sollte er tun? Er war ein Feigling. In dieser Hinsicht hatte sein Vater recht. Kent sah keine realistische Chance, diese Frau zu entwaffnen und seiner Lage zu entfliehen. Ein Kämpfer steckte einfach nicht in ihm.
»Mach die Augen auf.«
Wieder hörte er seine Mutter schreien. Ein Laut, der abrupt verstummte.
Die Frau trat ihn. »Ich sagte, du sollst die verfluchten Augen aufsperren, Kleiner. Ich werd’s nicht noch mal wiederholen.«
Kent wimmerte. »N-nein.«
»Nein? Hast du ernsthaft gerade Nein zu mir gesagt?«
Da spürte er bereits ihr Gewicht auf sich, als sie rittlings auf ihm kauerte und den Lauf der Pistole unters Kinn rammte. »Los, du Schwanzlutscher: Mach die Augen auf.«
Da konnte er nicht mehr anders. Der feste, unnachgiebige Druck des kalten Laufs trieb ihn zum Gehorsam. Blinzelnd öffnete er die Augen und schaute in das spöttisch grinsende Gesicht der Frau. »Bitte ...«
Sie lächelte. »Bitte ... was?«
Er schniefte. »Bitte bring mich nicht um.«
Sie lachte. »Na gut.«
Ein heftiger Ruck durchlief sein Herz. Ein Teil von ihm wusste, dass es töricht war, zu hoffen, aber er tat es trotzdem. »Wirklich?«
Ihr Lächeln wurde strahlender. Ein Lächeln, das für ein Jahrbuchfoto gedacht zu sein schien, wodurch es umso beunruhigender wirkte. »Klar, Schätzchen. Du musst nur etwas für mich erledigen.«
»Oh, jetzt kommt’s.«
Kent erstarrte. Jemand anders war durch die offene Tür eingetreten. Jemand, den er gut kannte.
Langsam drehte er den Kopf nach rechts. »Brett.«
Sein bester Freund kicherte. »Jo.«
So wie die Leute, die zur Jagd auf seine Mutter aufgebrochen waren, präsentierte sich auch Brett nackt und über und über mit Blut bedeckt. Er trug einen großen Baseballschläger bei sich. Auch dessen dickes Ende leuchtete rot. Was immer hier vor sich ging, Brett war Teil der ganzen Geschichte. Vergeblich versuchte Kent, die Lage zu begreifen. Er konnte nicht nachvollziehen, dass jemand wie Brett, ein guter christlicher Junge, zu ... so etwas verkam.
Kent starrte ihn an. »Was ist mit dir los?«
Brett kicherte erneut. »Du bist ein Arschloch, Kent. Niemand mag dich wirklich . Mich eingeschlossen. Mir sind meine neuen Freunde lieber. Wie Carrie hier. Sie ist ja so was von cool.«
Die Frau – Carrie – lachte. »Ich möchte, dass du etwas für mich erledigst, Kent. Es ist einfach, aber wichtig. Und dein Überleben hängt davon ab, dass du es tust. Verstanden?«
»Nein.«
Carrie entfernte die Pistole von seinem Kinn und drückte den Lauf gegen seine Stirn. Gleichzeitig rieb sie sich ein wenig an seinem Schritt, was unter anderen Umständen unerträglich erregend gewesen wäre. »Sag, dass du Satan liebst.«
Kent blinzelte. »Was?«
»Sag, dass du Satan liebst.«
Kents Mund öffnete sich. Er zögerte. Es waren bloß Worte. Sie auszusprechen, verhieß den Funken einer Chance, dass er überlebte. Das schien ihm die Blasphemie wert zu sein. »Ich liebe Satan.«
Carrie lächelte. »Natürlich tust du das, Schätzchen. Das tun wir alle.«
Sie kletterte von ihm herunter und entfernte sich.
Kent konnte es kaum glauben. Er blieb auf dem Boden und starrte ihrem Rücken nach, als sie losging, um ihre anderen Gefährten zu suchen. Sie hatte ihn am Leben gelassen. Es war ein Wunder. Dann ragte Brett bedrohlich über ihm auf, den Baseballschläger hoch über den Kopf erhoben wie einen Pfeil, der gen Himmel zeigte.
Der unverhoffte Anflug von Hoffnung bekam Risse.
»Scheiße«, stieß Kent hervor.
Brett kicherte. »Jo.«
Der Schläger sauste herab.
Anderswo in Wheaton Hills ...
Irgendetwas ließ Joe Simpson hellwach werden. Sein Gesicht lag in einen frisch gewaschenen Kissenbezug gedrückt, der »frühlingsfrisch« roch – zumindest beschrieb das Etikett auf der Flasche des Weichspülers den Duft so. Joe wusste das, weil seine Frau seit Jahren dieselbe Marke kaufte. Aber nicht das brachte seine Nasenflügel zum Zucken. Ein anderes Aroma füllte den Raum aus. Etwas nicht wirklich Unangenehmes, das jedoch entschieden fehl am Platz wirkte. Seine Schlaftrunkenheit verflog, als er sich auf den Geruch konzentrierte und noch einmal schnupperte.
Benzin .
Wie merkwürdig.
Gähnend schob er seine Masse auf den Bettrand zu, um mit einer Hand nach der Lampe zu tasten. Er fand den Schalter und blinzelte heftig, als das Licht abrupt anging. Abermals gähnte er und zog
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