Die Finsternis
Während ich jetzt darauf wartete, ob sie die Meereswache auf den Fall ansetzen würde, blieb ich bei den Füßen einer Leiche stehen, die nackt, voller Hornhaut und mit Salz verkrustet unter der Plane hervorragten.
Die Reihen der Toten säumten das gesamte Oberdeck. Ein schrecklicher Anblick. Gemma hatte mir den Gefallen getan und Zoe nach unten gebracht, wo sie ihr im Speisesaal eine Kugel Walmilcheis kaufen wollte. Sie hatten mich am Anlegering rausgelassen und waren mit der Slicky zur unteren Station abgetaucht, um die Handelsstation über das Zugangsdeck zu betreten. Wenn sie hier oben angelegt hätten, hätten sie an den toten Surfs vorbeigemusst, um zum Fahrstuhl zu gelangen. Zoe war ein wildes kleines Mädchen, aber sie war erst neun Jahre alt. Ein Bild wie dieses sollte sich nicht in ihr Gedächtnis einbrennen. Mich würde es für immer verfolgen.
Kommandantin Revas hockte sich neben eine Leiche, zog die Plane weg und runzelte die Stirn. Das war offensichtlich nicht die Person, nach der sie suchte. Sie legte die Plane zurück und stand auf. Wie die Gardisten trug sie einen adretten Overall aus windfestem Material mit Belüftungsschlitzen an beiden Seiten. Endlich sah sie mich an. »Was wollten deine Eltern überhaupt in der Nähe der Drift? «
Ihr Ton gefiel mir nicht. »Wir wollten den Surfs Algen und Seetang verkaufen.«
Revas war wahrscheinlich Ende zwanzig – jünger, als ich es von einer Kommandantin der Meereswache erwartet hätte – , doch mit ihrem ernsten Gesichtsausdruck und dem streng nach hinten gebundenen schwarzen Haaren wirkte sie deshalb nicht weniger einschüchternd.
»Wir haben nichts Illegales getan«, fügte ich hinzu und versuchte nicht herumzuzappeln, während sie mich mit starrem Blick musterte. »Der Staatenbund hat uns erlaubt, unsere Ernte zu verkaufen.«
»An Townships?« Ihre Stimme klang sowohl ungläubig als auch herablassend. Als wären meine Eltern Idioten.
»An wen wir wollen«, gab ich zurück.
Kommandantin Revas stieg über die Leichen und kam auf mich zu. »Und deine Eltern dachten, es sei eine gute Idee, Geschäfte mit verbitterten Menschen zu machen, die die unterseeischen Pioniere hassen? «
»Wovon reden Sie? Sie hassen uns nicht.«
»Ach, wirklich nicht?«, spottete sie. »Du kennst doch bestimmt die Verordnung, die den Townships verbietet, das Benthic-Territorium zu befahren?«
»Was ist damit?«
»Die Surfs sollen deshalb ziemlich verärgert sein. Das habe ich zumindest gehört.«
Der verurteilende Klang ihrer Stimme war mir egal. »Diese Townships haben ihre Netze in unseren Gewässern ausgeworfen, sie haben unseren Fischbestand weggeholt und sind durch unsere Seetangfelder gefahren.«
Revas hockte sich neben eine weitere Leiche, hob die Plane und betrachtete das Gesicht des Mannes. Hörte sie mir überhaupt zu?
»Wir mussten etwas dagegen unternehmen«, fuhr ich fort. »Und der Staatenbund hat uns dabei unterstützt.«
»Ja, ich weiß.« Sie wirkte unzufrieden, legte die Plane zurück und erhob sich. »Ihr habt eine Verordnung verabschiedet, die den größten Teil des östlichen Kontinentalschelfs betrifft, was zufällig das wichtigste Fischfanggebiet der Townships war, seit sie vor achtzig Jahren zu Wasser gelassen wurden.«
»Sie können im Rest des Atlantiks fischen.«
»Kind, du weißt wahrscheinlich besser als die meisten Leute, dass es auf dem Kontinentalschelf mehr Fische gibt als sonst irgendwo. Es ist dort viel einfacher, sie aufzuspüren und zu fangen.«
Das stimmte mich nachdenklich. Es gab tatsächlich nur wenige und meist vereinzelte Fische auf der Tiefseeebene und die waren nicht einmal besonders schmackhaft. Eigentlich gab es dort vor allem Schlamm und ein paar Seegurken.
»Begreifst du jetzt, warum es die Surfs ärgern könnte, dass sie Seetang von den Siedlern kaufen müssen?«, fragte sie.
Ich nickte. Wie konnte ich das übersehen haben? Wie konnten alle anderen das übersehen haben? Plötzlich kam mir ein beunruhigender Gedanke. Vielleicht hatten die Siedler es gar nicht übersehen. Vielleicht war es ihnen einfach egal gewesen.
Nein, das konnte nicht sein. Die Siedler waren die Guten. Nun, vielleicht abgesehen von dem einen Mal, als ein paar Nachbarn Shade hatten lynchen wollen. Das war kein besonders schöner Moment gewesen. Aber Mum und Dad hatten sofort versucht, die anderen aufzuhalten.
»Meine Eltern waren sich über die Folgen dieser Verordnung wahrscheinlich nicht im Klaren«, sagte ich laut.
»Natürlich
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