Die Firma
Tarrance Luft holte oder nicht.
Aber Tarrance war sofort stumm.
Fünfzehn Minuten später ging die Toilettentür wieder auf, und man konnte hören, wie das Wasser in den Tank unter dem Greyhound hinabrauschte. Sie schlurfte nach vom und nahm ihren Platz wieder ein.
»Wer ist Jack Aldrich?« fragte Mitch. Er vermutete, daß Tarrance in dieser Sache etwas zu verbergen hatte, und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus sorgfältig seine Reaktion. Tarrance schaute aus dem Buch hoch und richtete seinen Blick auf den Sitz vor sich.
»Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, wo er hingehört.«
Mitch schaute wieder aus dem Fenster. Tarrance wußte Bescheid. Er war zusammengezuckt, und seine Augen hatten sich zu schnell verengt, bevor er antwortete. Mitch beobachtete den Verkehr in der Gegenrichtung.
»Also wer ist das?« fragte Tarrance schließlich.
»Sie kennen ihn nicht?«
»Wenn ich ihn kenne, würde ich nicht fragen, wer er ist.«
»Er gehört zu unserer Firma. Das hätten Sie eigentlich wissen müssen, Tarrance.«
»In der Stadt wimmelt es von Anwälten. Ich nehme an, Sie kennen sie alle.«
»Ich kenne die, die bei Bendini, Lambert & Locke arbeiten, der stillen kleinen Firma, mit der Sie sich seit sieben Jahren beschäftigen. Aldrich ist ein Mann, der seit sechs Jahren dort arbeitet und angeblich vor ein paar Monaten vom FBI angesprochen wurde. Wahr oder falsch?«
»Eindeutig falsch. Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Das spielt keine Rolle. Nur ein Gerücht, das im Büro herumschwirrt«
»Es ist eine Lüge. Seit August haben wir außer mit Ihnen mit niemandem gesprochen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Und wir haben auch nicht vor, mit jemand anderem zu sprechen, außer natürlich, wenn Sie ablehnen und wir uns nach jemand anderem umsehen müssen.«
»Sie haben nie mit Aldrich gesprochen?«
»Genau das habe ich gesagt.«
Mitch nickte und griff nach einer Zeitschrift. Eine halbe Stunde schwiegen beide. Endlich klappte Tarrance sein Buch zu und sagte: »Also, Mitch, in ungefähr einer Stunde werden wir in Knoxville sein. Wenn Sie sich entschieden haben, müssen wir einen Handel abschließen. Direktor Voyles wird mir morgen früh tausend Fragen stellen.«
»Wieviel Geld?«
»Eine halbe Million Dollar.«
Jeder Anwalt, der etwas taugte, wußte, daß das erste Angebot abgelehnt werden mußte. Immer. Er hatte gesehen, wie Avery vor Fassungslosigkeit der Mund offenstand und er total entrüstet und ungläubig heftig den Kopf schüttelte, wenn jemand ein erstes Angebot machte, so vernünftig es auch sein mochte. Dann erfolgten Gegenangebote und Gegen-Gegenangebote und weitere Ve r handlungen, aber das erste Angebot wurde immer abgelehnt.
Also schüttelte er den Kopf und schaute lächelnd aus dem Fenster, als wäre das genau das, was er erwartet hätte. Mitch lehnte eine halbe Million Dollar ab.
»Habe ich etwas Komisches gesagt?« fragte Tarrance, der Nicht-Anwalt, der Nicht-Verhandler.
»Das ist lächerlich, Tarrance. Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich für eine halbe Million Dollar eine Goldmine aufgebe.
Nach Abzug der Steuern bleiben mir bestenfalls dreihunderttausend.«
»Und wenn wir die Goldmine zumachen und euch feine Herren mit den Gucci-Schuhen alle ins Gefängnis stecken?«
»Wenn. Wenn. Wenn. Wenn ihr soviel wißt, weshalb habt ihr dann nichts unternommen? Voyles sagte, ihr hättet seit sieben Jahren beobachtet und gewartet. Das ist wirklich gut, Tarrance.
Bewegt ihr euch immer so schnell?«
»Wollen Sie das Risiko eingehen, McDeere? Nehmen wir an, wir brauchen weitere fünf Jahre, okay? Nach fünf Jahren lassen wir den Laden hochgehen und verfrachten Sie in den Knast.
Dann spielt es keine Rolle mehr, wie lange wir gebraucht haben. Im Endeffekt läuft es auf das gleiche hinaus.«
»Entschuldigung. Ich dachte, wir wollten verhandeln, nicht drohen.«
»Ich habe Ihnen ein Angebot gemacht.«
»Ihr Angebot ist zu niedrig. Sie erwarten von mir, daß ich Ihnen so viel Material liefere, daß Sie Hunderte von Anklagen gegen eine Horde der gemeinsten Verbrecher in Amerika erheben können, ein Vorgehen, das mich leicht mein Leben kosten kann. Und Sie bieten mir ein Trinkgeld an. Drei Millionen, mindestens.«
Tarrance zuckte nicht zusammen und runzelte auch nicht die Stirn. Er nahm das Gegenangebot mit ausdrucksloser Miene entgegen, und Mitch, der Verhandler, wußte, daß es nicht außerhalb des Möglichen lag.
»Das ist eine Menge Geld«, sagte Tarrance, fast zu sich selbst.
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