Die Flamme von Pharos
Dabei scherzten sie und raunten einander zu, dass ihr Vorgesetzter den Verstand eines Kamels besäße. Beide lachten laut und derb – dann waren sie vom Dach verschwunden.
Sekundenlang blieb es völlig still in der Kammer. Keiner wagte laut zu atmen, erst ganz allmählich begriffen Sarah und ihre Begleiter, dass die Gefahr tatsächlich gebannt war.
»Das war knapp, nicht wahr?«, fragte schließlich eine Stimme mit arabischem Akzent.
Sarahs Augen hatten sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, sodass sie ihren unbekannten Retter sehen konnte. Es war ein untersetzter Mann, der einen weißen Kaftan trug und weiche, volle Gesichtszüge hatte. Der Mund unter seinen winzigen Augen und der dicken Nase war zu einem breiten Grinsen verzogen.
»Am besten, Sie sagen mir erst gar nicht, wer Sie sind«, fügte er hinzu, »auf diese Weise kann ich Sie nicht verraten.«
»Klingt einleuchtend«, erwiderte Sarah und erhob sich. »Wer immer Sie sind – meine Begleiter und ich sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Sie deutete eine Verbeugung an. »Schukran.«
»Sie sprechen Arabisch?«
»Ein wenig«, gab Sarah zu. »Genug, um zu verstehen, dass diese Männer dort gewillt waren, uns zu töten – und dass Sie Ihr Leben riskiert haben, indem sie uns vor ihnen retteten.«
»Der gute Ali Bey war schon immer zu gutmütig.« Der Fremde richtete den Blick zur von Holzbalken getragenen Decke der Kammer. »Allah ist mein Zeuge, dass dies mein einziges Vergehen ist.«
»Ali Bey?«, fragte Sarah.
»Mein bescheidener Name«, bestätigte der andere beflissen und verbeugte sich. »Ali Bey, Händler und Spezialist für Dienstleistungen aller Art.«
»War das eben auch eine Dienstleistung?«, erkundigte sich Hingis. »Wollen Sie dafür bezahlt werden?«
»Nicht doch.« Ali Bey schüttelte den Kopf.
»Wieso haben Sie uns dann geholfen?«, erkundigte sich du Gard.
»Vielleicht, weil ich diesem Großmaul Urabi und seiner nationalen Bewegung nichts abgewinnen kann.«
»Non? Ich dachte, die ägyptische Bevölkerung stünde geschlossen hinter Urabi und seiner Revolte?«
»Ich bin gewissermaßen nur ein halber Ägypter«, erklärte Ali Bey mit entschuldigendem Lächeln. »Meine Mutter war eine Tochter der Wüste, mein Vater jedoch ein türkischer effendi 2 . Schon aus diesem Grund war zumindest eine Hälfte von mir von jeher ein ergebener Untertan seiner Exzellenz des Khediven.«
»Und die andere Hälfte?«, wollte Sarah wissen.
»Ist weise genug, um schon vor langer Zeit erkannt zu haben, dass man die Hand nicht beißen sollte, die einen füttert«, erwiderte der Händler diplomatisch. »Ich habe nichts gegen Europäer. Auch wenn sie in meinen Augen allesamt Ungläubige sind, deren Umgangsformen sehr zu wünschen übrig lassen – Anwesende natürlich ausgenommen -, weiß ich sie als verlässliche Geschäftspartner zu schätzen.«
»In der Tat«, erwiderte Sarah, die einigermaßen verblüfft über so viel Offenheit war. »Wären Sie denn jetzt auch an einem Geschäft interessiert?«
»Es käme darauf an, um was für eine Sorte Geschäft es sich handelt. Leider sind meine Möglichkeiten in diesen unruhigen Zeiten ziemlich begrenzt …«
»Dennoch haben Sie die Stadt nicht verlassen.«
»La.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin in Alexandria geboren, und weder ein selbsternannter Pascha noch schießwütige Briten werden mich von hier vertreiben. Sie hingegen sollten so rasch wie möglich fliehen. Gefahr droht Ihnen von allen Seiten, nicht nur von den Soldaten. Die Hetzreden Arabis und die Angst vor den Briten haben die Leute aufgebracht. Europäer, die ihnen in die Hände fallen, werden ohne Federlesens umgebracht.«
»Merde!«, kommentierte du Gard.
»Ich könnte Sie auf sicherem Wege aus der Stadt führen«, schlug Ali Bey vor, »gegen eine geringe Gebühr, versteht sich.«
»Nein danke«, lehnte Sarah ab. »Wir haben viel auf uns genommen, um trotz der Blockade nach Alexandria zu gelangen, und wir werden nicht gehen, ehe wir nicht gefunden haben, wonach wir suchen.«
»Tatsächlich?« In den Augen des Händlers, der bereits das nächste Geschäft zu wittern schien, flackerte es wissbegierig. »Und wonach suchen Sie, wenn es erlaubt ist zu fragen?«
»Nach einem Mann, einem Engländer«, erwiderte Sarah. »Sein Name ist Gardiner Kincaid … Lord Kincaid. Er ist der Leiter einer britischen Expedition, die bis vor kurzem hier gearbeitet hat.«
»Naram«, bestätigte Ali Bey. »Bis die Schergen des Pascha die Europäer aus
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