Die Flamme von Pharos
dem anderen, Antike, Mittelalter und Moderne. Ein Ort, an dem die Geschichte lebendig war – und doch so tot, wie sie nur sein konnte.
Zur Linken erstreckten sich die Grabhügel des Friedhofs von Moham, während sich vor ihnen ein Ruinenfeld ausbreitete, dessen Trümmer bleich wie Knochen im Sand lagen. Die Überreste einer Ringmauer waren zu erkennen, die das Areal vor Urzeiten schützend umgeben haben mochten; jenseits des baufälligen Kranzes ragten die Ruinen von Türmen und Bauwerken auf, darunter eines, das mehr als jedes andere die Fantasie all jener beflügelt hatte, die Alexandrien in den vergangenen sieben Jahrhunderten besucht hatten.
Die Säule des Pompeius.
»Dies ist unser Ziel«, erklärte Ali Bey, als er sah, wie Sarahs Blick sich an der Säule festsog, die wie ein abgenagter Knochen aus dem steinernen Kadaver ragte.
»Wurde dort die Ausgrabung abgehalten?«, erkundigte sich Sarah.
»Nicht weit davon«, bejahte der Händler und schickte ihr einen zweifelnden Blick. »Glauben Sie mir etwa nicht?«
»Doch, ich glaube Ihnen«, versicherte ihm Sarah ohne Zögern – denn mit einem Mal ergab vieles Sinn …
Ali Bey nickte zufrieden und ging erneut voraus. Die Pflastersteine der Straße hatten sich längst in Schutt und Sand verwandelt, sodass sie gezwungen waren, querfeldein zu gehen und über Hindernisse aller Art zu klettern, was Friedrich Hingis mit leisen Flüchen quittierte.
»Qu’est-ce qui se passe, mon ami?«, erkundigte sich du Gard. »Sollten Sie etwa schon genug haben vom großen Abenteuer Archäologie?«
»Von einem Abenteuer kann ja wohl nicht die Rede sein«, presste Hingis keuchend hervor, »schon eher von glattem Wahnwitz. Und je länger diese nächtliche Wanderung dauert, desto mehr bezweifle ich, dass sie uns überhaupt je ans Ziel bringen wird. Dieser Ali Bey ist nichts als ein windiger Betrüger, der uns um unser Geld erleichtern will.«
»Das denke ich nicht«, widersprach Sarah entschieden.
»Ach nein? Und was bringt Sie auf diesen Gedanken?«
»Die Tatsache, dass er uns hierher geführt hat«, erklärte sie. »Die Säule des Pompeius gehört nämlich zu jenen Örtlichkeiten, die ich als mögliche Ausgrabungsstellen in die engere Wahl genommen hatte. Nicht von ungefähr habe ich eine Kartenskizze davon angefertigt.«
»Das könnte auch reiner Zufall sein.«
»Kaum.« Sarah schüttelte den Kopf. »Haben Sie nie von der Theorie gehört, dass die Säule nicht wirklich zu Ehren des römischen Feldherrn Pompeius errichtet wurde? Dass es sich dabei um einen Irrtum handelt, dem schon die mittelalterlichen Kreuzfahrer erlegen sind?«
»Natürlich, aber …«
»Manche Historiker«, fuhr Sarah unbeirrt fort, »vertreten auch die Ansicht, dass die Säule ursprünglich zur Peristasis 3 eines befestigten Tempels gehörte, der der ägyptischen Göttin Serapis geweiht war. Angeblich wurde er während der Regierungszeit Ptolemaios II. und Königin Arsinoës errichtet.«
»Arsinoë?«, erkundigte sich du Gard. »Ist das nicht die Dame, von der unser vermummter Freund berichtet hat? Die angeblich mit jener geheimnisvollen Macht im Bunde stand?«
»In der Tat.« Sarah nickte. »Und es wird weiter angenommen, dass das Serapeion einen Teil der Bibliothek von Alexandria beherbergt haben soll. Vielleicht schließt sich hier ja der Kreis.«
»Hypothesen, nichts weiter«, rügte Hingis. »Für keine davon gibt es auch nur einen einzigen stichhaltigen Beweis. Wenn Ihr Vater sich auf solch fragwürdige Annahmen stützt, räume ich dieser Unternehmung keine allzu großen Chancen ein.«
»Warten Sie es ab«, beschied Sarah ihm kühl, während sie ein steiles Geröllfeld überwanden, das die Überreste eines einst stolzen Bauwerks repräsentieren mochte. Auf der anderen Seite erwartete sie Ali Bey, verheißungsvoll grinsend wie ein Honigkuchenpferd – bis zur Säule war es nun nicht mehr weit.
Der Alexandriner führte die drei Gefährten über eine weite Sandfläche, die im bleichen Mondlicht lag und aus der hier und dort schartige Quadern und die Bruchstücke antiker Kapitelle ragten. Sarah fühlte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Würde sie nun endlich zu sehen bekommen, woran ihr Vater die letzten Monate derart verbissen gearbeitet hatte? Würde sie auf Hinweise stoßen, die es ihr erlaubten, ihn zu finden?
Ein Teil von ihr hoffte noch immer, dass aller Vernunft und aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz ihr Vater noch immer hier sein, dass sie ihm einfach begegnen und er sie in
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