Die Flamme von Pharos
Kameraden stellten. Der Offizier sagte noch etwas, das du Gard nicht verstand, dann gesellte er sich zu seinen Leuten.
Den Säbel erhoben, gab er den Befehl zum Anlegen. Gefasst blickte Maurice du Gard auf die Klinge des Offiziers, die im Mondlicht unheilvoll blitzte.
5
Als die Schüsse fielen, zuckte Sarah zusammen.
Mehrmals hintereinander krachte es, und jeder einzelne Schuss erschütterte ihre Welt bis in die Grundfesten.
Erinnerungen kamen ihr in den Sinn.
Sie musste daran denken, wie sie Maurice du Gard zum ersten Mal begegnet war, damals, im Varieté. Niemals hätte sie geglaubt, dass sie in ihm etwas anderes sehen könnte als einen geckenhaften Scharlatan – nun hatte er sein Leben geopfert, um das ihre zu bewahren, und sei es nur für einige Augenblicke. Solchen Opfermut hätte Sarah ihm niemals zugetraut, und sie fühlte sich, als würde ihr das Herz aus der Brust gerissen.
Sie kauerte noch immer dort, wo sie niedergesunken war, nachdem die Soldaten sie von sich gestoßen hatten. Reue und Trauer erfüllten sie. Sie zitterte am ganzen Körper und fror erbärmlich, und ungehemmt stürzten Tränen in ihre Augen.
»Hier, mein Kind«, brummte eine tiefe Stimme, und etwas legte sich um ihre Schultern, von dem sie wusste, dass es Gardiner Kincaids abgetragener, an unzähligen Stellen ausgebesserter Rock war, der ihn schon auf zahllosen Reisen begleitet hatte. »Es ist gut«, sagte er beruhigend dazu, aber anders als früher vermochten seine Worte Sarah diesmal keinen Trost zu schenken.
Was geschehen war, lag in ihrer Verantwortung. Sie war es gewesen, die um jeden Preis diese Reise hatte antreten wollen, sie hatte zugelassen, dass du Gard sie begleitete, und nur ihrem Starrsinn war es zuzuschreiben, dass er nicht mehr am Leben war …
»Es tut mir leid, Vater«, flüsterte sie unter Tränen. »Ich bin an allem schuld, was geschehen ist …«
»Das darfst du nicht sagen, Kind. Wir beide tragen Schuld, denn wir beide haben Fehler gemacht, ich ebenso wie du. Aber daraufkommt es nicht mehr an, hörst du?«
»Nein?«
»Keineswegs.«
»Worauf kommt es denn an?«
»Darauf, du Gards Opfer zu ehren. Er hat getan, was er für das Richtige hielt, und es steht weder dir noch mir zu, seine Entscheidung in Frage zu stellen. Er wollte, dass du lebst, Sarah, nur darum geht es.«
»Ich lebe«, bestätigte sie bitter, sich die Tränen aus den Augen wischend. »Die Frage ist nur, wie lange noch. Hast du nicht gehört, was der Kerl gesagt hat? Wir werden sterben, Vater. Alle.«
»Vielleicht«, räumte Gardiner ein. »Aber meine Hoffnung ist erst dann erschöpft, wenn sie auch den letzten von uns hinausgeschleppt und erschossen haben. Bis dahin werde ich nicht den Mut verlieren, ebenso wenig wie du, hast du verstanden?«
»Aber du Gard …«
»Ob du verstanden hast, will ich wissen!« Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie, worauf Sarah halbwegs aus ihrer Lethargie erwachte.
»J-ja«, bestätigte sie zögernd – während draußen auf dem Korridor erneut Schritte zu hören waren. »Hörst du das?«, fragte sie.
»Ja, mein Kind.«
»Sie kommen zurück. Sie holen sich den nächsten von uns.«
»Sieht ganz so aus.«
»Ich werde gehen«, stellte Sarah klar.
»Auf keinen Fall.«
»Lass mich gehen, Vater«, verlangte Sarah. »So vieles, was geschehen ist, liegt in meiner Verantwortung. Ich trage Sorge für meine Expedition.«
»So wie ich für die meine«, konterte Gardiner. »Hier geht es nicht um Verantwortung, Sarah, sondern darum, was vernünftig ist. Ich bin alt und schwach, du hingegen …«
»Nein«, widersprach sie trotzig, woraufhin sich ein Lächeln auf seinen faltigen Zügen zeigte.
»Bisweilen«, sagte er, »bist du immer noch das störrische Mädchen, das ich großgezogen habe.«
»Ich bin deine Tochter«, erwiderte sie, »und deshalb weiß ich, was ich zu tun habe.«
»Vielleicht, aber du wirst nicht …«
»Alors, streitet ihr euch tatsächlich darüber, wer seinem Schöpfer zuerst gegenübertreten darf?«
Die Stimme, deren charmanter Akzent unverkennbar war, ließ Sarah und ihren Vater aufhorchen. Überrascht schauten sie zur Zellentür, um dort einen Mann in blauer Offiziersuniform zu erblicken. Im nächsten Moment jedoch wurde ihnen klar, dass es Maurice du Gards blasse Züge waren, die sie unter dem schwarz bequasteten Fes anblickten und um die ein Hauch von Amüsiertheit spielte. Der feiste Zellenwächter lag bewusstlos zu seinen Füßen.
»M-Maurice«, presste Sarah tonlos
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