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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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zurück, sondern erst ein paar Stunden, erinnerte er sich noch genau an den Wortlaut.
    »Und du kannst tatsächlich sehen, was geschehen wird?«, hatte der junge Maurice gefragt, der es zunächst für einen Scherz, für ein launiges Spiel seiner Mutter gehalten hatte.
    »Manches«, hatte sie nachsichtig geantwortet. »Anderes geschieht jedoch nie, vielleicht deshalb, weil Leute wie wir davon wissen.«
    »Leute wie wir?«
    »Ja, Maurice. Ich habe die Gabe von meiner Mutter, die sie wiederum von ihrer Mutter geerbt hat. Ich sehe also keinen Grund, weshalb du sie nicht auch besitzen solltest.«
    »A-aber … ich bin kein Mädchen …«
    »Nein, das bist du nicht. Aber die Gabe ist nicht abhängig von Geschlecht oder Alter, von Hautfarbe oder Religion. Sie ist, was sie ist – ein Geschenk.«
    »Aber ich merke nichts davon.«
    »Das wirst du. Habe Geduld, und warte ab.«
    »Worauf soll ich warten?«
    »Wenn der Zeitpunkt gekommen ist«, hatte sie ebenso weise wie rätselhaft geantwortet, »wirst du es wissen …«
    Gefangen in seinen Erinnerungen, bemerkte du Gard weder, dass eine der sandbedeckten Fliesen unter seinen Füßen nachgab, noch hörte er das Knacken hinter den uralten Mauern.
    Aber er erkannte die Situation wieder.
    Einer jähen Eingabe gehorchend, warf er sich nach vorn, geradewegs auf den steinernen Boden, während die Wände des Stollens zusammenzurücken schienen. Ein wuchtiges Geräusch erfüllte die modrige Luft, und er spürte, wie etwas ihn nur um Haaresbreite verfehlte, sich hinter ihm zu schließen schien wie ein Vorhang. Die Öllampe entwand sich seinem Griff und rollte kullernd davon – und als du Gard sich stöhnend aufrichtete, erkannte er, mit welch knapper Not er seinem Ende entgangen war. Eiserne Speere, rostbesetzt, aber noch so tödlich wie vor zwei Jahrtausenden, ragten von beiden Seiten in den Gang, um jeden unerwünschten Besucher bei lebendigem Leib zu pfählen.
    »Die Phalanx der Makedonen«, flüsterte du Gard, während er nach der Lampe griff und sich auf die zitternden Beine raffte. Wie in Trance folgte er dem Stollen zu einem Durchgang, hinter dem sich eine weitere Kammer zu befinden schien. In den Türsturz waren erneut jene Zeichen eingemeißelt, von denen du Gard inzwischen wusste, dass sie von großer Bedeutung waren.
     
    ΑΒΓΔΕ
    Verblüfft trat er vor, befühlte die in den Stein gemeißelten Lettern, als könnte er nicht glauben, dass das Schicksal ausgerechnet ihn dazu ausersehen hatte, das zu finden, wonach so viele andere vergeblich gesucht hatten – und im nächsten Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag.
    Dies war der Ort aus seiner Vision!
    Der Stollen, die mechanische Phalanx, die Zeichen im Stein – alles stimmte überein. Nur einen wesentlichen Unterschied gab es: Es war nicht Gardiner Kincaid, der in diesem Augenblick an dieser Stelle stand, sondern er, Maurice du Gard …
    Was hatte das zu bedeuten?
    Hatte sich dadurch, dass er Sarah Kincaid nach Ägypten begleitete, die Zukunft verändert? War es das, was seine Mutter gemeint hatte, als sie sagte, dass manche Dinge deshalb nicht geschähen, weil jene, die die Gabe besaßen, davon wüssten?
    Du Gard merkte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Plötzlich erinnerte er sich an den Schatten, den er gesehen hatte, an die Hand mit dem Messer! Unwillkürlich fuhr er herum, schaute sich wachsam um – aber es war niemand hinter ihm.
    Bedeutete dies, dass die Gefahr gebannt war? Hatte sich das Schicksal betrügen lassen?
    Du Gard wusste keine Antwort auf diese Fragen. Gebannt ging er weiter, bückte sich unter dem niederen Durchgang – und gelangte in eine längliche Kammer, deren Wände mit Hieroglyphen versehen waren. Auf der rechten Seite gab es eine Pforte, die der Wahrsager nach kurzem Zögern durchschritt – und unvermittelt fand er sich in dem wieder, was wohl das Allerheiligste der Anlage sein musste.
    Die Kammer war hoch und geräumig; zu beiden Seiten gab es Durchgänge, die in Nebenkammern führen mochten. Darüber spannte sich eine gewölbte Decke mit einem künstlichen Sternenhimmel. Zwölf Obelisken, jeder an die drei Yards hoch, formten ein Rechteck, in dessen Mitte ein steinerner Sarkophag stand. Maurice du Gard war weder Archäologe noch in Geschichte sehr bewandert, aber auch ihm war klar, was die fünf griechischen Buchstaben zu bedeuten hatten, die in die Stirnseite des Sarkophags gemeißelt waren.
    Dies war das Grab Alexanders des Großen.
    Einen Augenblick lang stand du Gard

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