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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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wie versteinert vor Ehrfurcht. Schauer durchrieselten ihn bei dem Gedanken, dass er der Erste war, der diese Kammer seit Menschengedenken betrat; dass es ausgerechnet ihm zuteil wurde, die Totenruhe eines der größten Feldherren und Eroberer zu stören, die die Welt je gesehen hatte.
    War es Zufall?
    Oder war es weit mehr als das …?
    Du Gards erster Impuls war es, kehrtzumachen und zu den anderen zurückzulaufen, um ihnen von seinem Fund zu berichten. Gleichzeitig erwachte jedoch seine Neugier.
    Zu Beginn der Expedition hatte er kaum nachvollziehen können, warum die Vergangenheit solch große Macht auf Menschen wie Gardiner Kincaid und seine Tochter ausübte, und noch viel weniger hatte er verstanden, dass sie dafür ihr Leben riskierten. Nun jedoch, an diesem Ort und im Angesicht des Sarkophages, überkam ihn erstmals eine leise Ahnung. Eine unbestimmte Sehnsucht erfüllte ihn plötzlich, das Vermächtnis der Geschichte mit eigenen Händen zu berühren und so ein Teil davon zu werden.
    »Ozymandias kennt die Antwort«, flüsterte er und trat vor, passierte die ihrerseits mit Hieroglyphen versehenen Obelisken und stand endlich am Fußende des bis auf die Inschrift schmucklosen Sarkophags. Der Gedanke, dass sich darin die sterblichen Überreste einer der berühmtesten Persönlichkeiten der Geschichte befanden, ließ du Gard erschaudern, und seiner Sehnsucht gehorchend, streckte er die Hand aus und legte sie auf den kalten Stein.
    In diesem Moment geschah es.
    Genau wie an jenem Abend, als er hinter dem Vorhang des »Miroir Brisé« auf den Beginn der Vorstellung gewartet hatte, und genau wie auf der Insel Fifla, als er die Stele berührte, überkamen ihn die Bilder einer Vision – und erneut trafen sie ihn so unerwartet, dass er sich nicht dagegen wappnen konnte. Ungefiltert stürzten sie auf sein Bewusstsein ein, und was du Gard sah, erschreckte ihn.
    Eine Stadt …
    Hohe Häuser und graue Gassen, zäher Nebel.
    Eine vermummte Gestalt, ein Messer in der Dunkelheit.
    Ein grässlicher Schrei, der die Stille zerriss.
    Eine junge Frau, die einen grausamen Tod fand.
    Blut, Blut überall …
    So ging es weiter.
    Wie ein Ungewitter stürzten die Bilder über ihn herein, ohne dass er die Augen schließen oder sich von ihnen abwenden konnte, und als wären sie eine Last, die sich zentnerschwer auf seinen Schultern türmte, brach du Gard unter ihnen zusammen.
    Wie lange die Vision gedauert hatte, wusste er anschließend nicht zu sagen. So unvermittelt, wie sie über ihn hereingebrochen war, verschwand sie auch wieder – was blieb, waren die Bilder, die sich unauslöschlich in sein Bewusstsein eingebrannt hatten.
    Er erinnerte sich an das Blut und an die junge Frau, die einen grausamen Tod gestorben war, und ein schrecklicher Verdacht durchzuckte ihn. Rasch griff er nach der Lampe, die seinem Griff erneut entglitten war, und zog sich auf die Beine. Das Alexandergrab keines Blickes mehr würdigend, stürzte er aus der Grabkammer.
    Sarah …
    Sarah Kincaid war in ihrem Element.
    Mit einer lodernden Flamme in der Hand unterirdische Kammern zu erkunden lag ihr ungleich mehr, als sich den Zwängen der Londoner Etikette zu unterwerfen. Neugier und Abenteuerlust erfüllten sie, während sie durch den niederen Stollen schlich, und fast schämte sie sich dafür, denn es bewies, dass du Gard und ihr Vater nur zu recht gehabt hatten. Nicht nur um Gardiner Kincaids willen war sie nach Alexandria gekommen, sondern auch, um in seine Pläne eingeweiht und womöglich ein Teil davon zu werden …
    »Sarah …«
    Sie erstarrte, als sie das Flüstern vernahm.
    Es war wenig mehr als ein Hauch in der kühlen, modrigen Luft, die die Gänge und Kammern erfüllte, dennoch glaubte Sarah, ihren Namen gehört zu haben – oder hatten ihre angespannten Sinne ihr einen Streich gespielt?
    »Sarah Kincaid …«
    Jetzt war Sarah sicher, und sie glaubte zu wissen, dass das Flüstern hinter ihr erklungen war. Blitzschnell fuhr sie herum, leuchtete den Gang hinab – und tatsächlich war im Durchgang der angrenzenden Kammer für einen kurzen Moment ein flüchtiger Schatten zu erkennen.
    »Vater?«, fragte Sarah laut. »Bist du das?«
    Sie erhielt keine Antwort.
    »Maurice?«
    Erneut blieb es still.
    Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, und ihre Handflächen wurden feucht. Sie ließ das Gewehr von der Schulter gleiten und nahm es in den Anschlag. Zwar war es höchst zweifelhaft, dass die Waffe funktionieren würde, aber Sarah setzte darauf, dass ein

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