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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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schussbereites Martini-Henry einen potenziellen Angreifer abschrecken würde. Auch wenn es kein leichtes Unterfangen war, die Öllampe und die klobige Waffe gleichzeitig in den Händen zu halten …
    »Hallo?«, fragte sie noch einmal.
    Als sie erneut keine Antwort erhielt, pirschte sie lautlos den Gang hinab, zurück in die Kammer, aus der sie gekommen war. Das Knirschen des Sandes unter ihren Füßen war zu hören, und plötzlich lag auch das unheimliche Flüstern wieder in der Luft.
    »Endlich bist du hier … nach so langer Zeit zurückgekehrt … wir haben auf dich gewartet …«
    Sarah wurde von eisigen Schaudern durchrieselt. Die Stimme erweckte den Eindruck, als ob sie keinen Körper besäße und überall wäre. Die Stimme eines Geistes, dachte sie, um sich schon gleich darauf selbst zur Räson zu rufen. Sicher gab es eine rationale Erklärung für alles.
    »Wer sind Sie?«, erkundigte sie sich laut und mit fester Stimme – ebenfalls zu flüstern, hätte nur bedeutet, sich auf das Schmierentheater einzulassen. »Was wollen Sie von mir?«
    »Es ist deine Bestimmung, Sarah … Du kannst dich ihr nicht entziehen …«
    »Was für eine Bestimmung? Wovon sprechen Sie?«
    »Die Bestimmung zu finden, was anderen verborgen blieb«, lautete die rätselhafte Antwort – und plötzlich klickerten in der Tiefe der Kammer einige Steine, die verrieten, dass die Stimme keineswegs so körperlos war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte.
    »Halt!«, rief Sarah energisch und zielte mit dem Gewehr in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Der Lampenschein erfasste schemenhaft den Ausgang der Kammer, und für einen kurzen Moment war eine dunkle Gestalt zu erkennen, die jedoch schon einen Lidschlag später wieder verschwunden war.
    Sarahs Zeigefinger krümmte sich, aber sie widerstand der Versuchung abzudrücken. Sie hätte kaum eine Chance gehabt, den Unbekannten zu treffen, ihm vielleicht aber offenbart, dass das Gewehr unbrauchbar war. Zudem wusste sie nicht, ob der geheimnisvolle Fremde überhaupt eine Bedrohung darstellte. Hätte er es darauf abgesehen, sie zu überfallen, hätte er sie nicht anzusprechen brauchen.
    Aber woher kannte er ihren Namen? Und wie kam er dazu, von ihrer Bestimmung zu sprechen?
    Sarahs Verlangen nach Antworten war stärker als ihre Vorsicht. Es drängte sie den Gang hinab und in die nächste Kammer, und als sie im Halbdunkel vor sich knirschende Schritte vernahm, begann sie zu laufen. Die Öllampe in der einen, das Gewehr in der anderen Hand, setzte sie durch die niederen Stollen, im Bestreben, ihren unbekannten Begleiter einzuholen. Wer ist er?, fragte sie sich immerzu. Wie kommt er hierher? Ist er bereits hier gewesen, oder ist er mir gefolgt …?
    Noch zweimal glaubte sie, einen Schatten davonhuschen zu sehen, aber es war ihr nicht möglich, Einzelheiten zu erkennen. Dann war der Schemen verschwunden und mit ihm das unheimliche Flüstern – und im nächsten Augenblick stand Sarah wieder in der Kammer, in der sich die Gruppe getrennt hatte.
    Wütend wirbelte sie um ihre Achse und blickte sich um – und sog scharf die Luft ein, als sie im Durchgang zur benachbarten Kammer eine schlanke Gestalt gewahrte.
    »Habe ich dich, du elender …« Mit einer Verwünschung riss sie das Gewehr in den Anschlag.
    »Sarah, non!«, scholl es ihr entgegen. »Hast du den Verstand verloren?«
    »M-Maurice?«
    »Wer sonst?« Die Gestalt trat vor, und Sarah atmete auf, als sie die vertrauten Züge du Gards erkannte. Allerdings sah der Wahrsager aus, als hätte er ein Gespenst gesehen.
    Sein Gesicht war kalkweiß, Schweiß stand ihm auf der Stirn, sein langes Haar hing in feuchten Strähnen, und aus seinen blutunterlaufenen Augen sprach unverhohlene Furcht.
    »Was ist geschehen?«, erkundigte Sarah sich erschrocken.
    »Rien«, erwiderte er leise. »Nichts von Bedeutung …«
    »Es ist unglaublich! Einfach unglaublich …«
    Gardiner Kincaids Stimme war heiser vor Begeisterung. So groß die Gefahren und so schrecklich die lange Kerkerhaft gewesen sein mochten – im Augenblick überwog bei ihm der eigentümliche, fast kindliche Drang des Entdeckers. Wie viele Jahre hatte er mit geheimen Studien zugebracht und davon geträumt, einst an diesen Ort zu kommen und das Rätsel zu lösen! Es hatte großer Opfer und eines dunklen Bündnisses bedurft, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, und nun, da er kurz vor der Erfüllung stand, fühlte sich Gardiner Kincaid wie ein kleiner Junge, der stets

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