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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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…«
    »Das tue ich allerdings.« Didier nickte, und sein Gesicht nahm einen despektierlichen Ausdruck an. »Diese Mörder kannten weder Gnade noch Rücksicht. Andernfalls hätten sie sich wohl damit begnügt, ihrem unglücklichen Opfer die Kehle durchzuschneiden und hätten sein Haupt auf den Schultern belassen.«
    »Moment«, hakte Sarah ein. »Wollen Sie damit sagen, dass Recassins Mörder ihm den Kopf abgeschnitten haben?«
    »Genau das, Lady Kincaid – und Patientin 87 war diejenige, die den Leichnam fand. Muss ich Ihnen immer noch erklären, weshalb diese arme Kreatur den Verstand verloren hat?«
    »Nein«, räumte Sarah ein, während ihr ein kalter Schauder über den Rücken lief. »Aber warum ist sie in das Arbeitszimmer ihres Bruders eingebrochen? Was wollte sie dort?«
    Didier seufzte. »Es ist die kennzeichnende Eigenschaft von Wahnsinn, dass er seine Opfer Dinge tun lässt, die für Außenstehende nicht nachzuvollziehen sind. Versuchen Sie niemals, einen vom Wahnsinn befallenen Menschen zu verstehen, Lady Kincaid – Sie würden darüber nur selbst den Verstand verlieren. In dem Augenblick, in dem Patientin 87 den enthaupteten Leichnam ihres Bruders erblickte, ist etwas in ihr zerbrochen. Etwas, das ihr Bewusstsein in einen dunklen Abgrund gestürzt hat, aus dem es bei allen Fortschritten, die die Medizin in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, kein Zurück mehr gibt. Phillipe Pinel, der Gründer dieser Anstalt, hat bewiesen, dass Wahnsinn bis zu einem gewissen Grad heilbar ist – in diesem Fall können wir jedoch nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass die Patientin keine Gefahr darstellt, weder für sich noch für andere. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    »Vollkommen«, versicherte Sarah, die die herablassende Art des Mediziners nicht leiden konnte. Vielleicht weil sie sich dadurch an ihre Niederlage auf dem Symposion erinnert fühlte, vielleicht auch nur, weil Arroganz in jeder Form sie empörte.
    Ohne noch weitere Fragen zu stellen, folgten Sarah und du Gard dem Arzt über eine breite Treppe, die vor einer Metalltür endete. Davor standen zwei kräftig aussehende Männer, die weiße Kittel trugen und in deren Gesichtern grimmige Entschlossenheit zu lesen war.
    »Guten Tag, Monsieur le Docteur«, grüßten sie beflissen, als die Besucher sich näherten. Weder erwiderte Didier den Gruß, noch hatte er sonst ein freundliches Wort für seine Untergebenen übrig. Mit einem energischen Nicken bedeutete er ihnen, die Tür zu öffnen.
    Die Wärter kamen der Aufforderung umgehend nach. Geräuschvoll drehte sich der Schlüssel im Schloss, das mit metallischem Klicken aufsprang. Die Flügel der Pforte, deren Innenseiten mit dicken, schalldämpfenden Polstern beschlagen waren, schwangen auf – und eine wahre Flut an unheimlichen, bizarren Geräuschen brach schlagartig über die Besucher herein.
    Es waren Schreie aus menschlichen Kehlen, auch wenn viele davon kaum noch etwas Menschliches an sich hatten; ein Kreischen, Brüllen und Krakeelen, wie es sonst wohl nur Tiere zustande brachten, dazu ein wütendes Stampfen und Klopfgeräusche auf Metall. Nur hier und da waren dem Gewirr Worte zu entnehmen, die freilich geistlos gefaselt waren und keinen Sinn ergaben. Über allem lag eine hohe Gesangsstimme, die das Konzert aus der Tiefe nur noch grässlicher erscheinen ließ.
    »Claire Laroche«, erklärte Didier, noch ehe Sarah oder du Gard fragen konnten. »Eine einstmals berühmte Sopranistin.«
    »Weshalb ist sie hier?«, wollte Sarah wissen.
    Der Doktor lächelte freudlos. »Weil sie Stein und Bein schwört, mit Napoleon verheiratet zu sein, dem Kaiser der Franzosen.«
    »Ein Fall von Wiedergeburt?«, erkundigte sich du Gard, und es schien ihm völlig ernst damit zu sein.
    »Unsinn – die offensichtliche Manifestation eines kranken Gehirns«, antwortete Didier barsch. »Hören Sie, sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen? Die geschlossene Abteilung ist kein Ort für zart besaitete Gemüter, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
    »So zart besaitet bin ich nicht«, versicherte Sarah, auch wenn sie merklich blass geworden war und der üble Geruch, der ihnen aus dem kahlen, grell beleuchteten Korridor entgegenschlug, ihr fast den Magen umdrehte. Ein unbestimmtes Gefühl riet ihr, augenblicklich umzukehren und den Gang nicht zu betreten. Aber zum einen wollte sie sich vor dem Arzt keine Blöße geben, zum anderen war da die wenn auch schwache Aussicht, an Informationen über den Verbleib ihres

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