Die Flamme von Pharos
schrecklichen Tag …
Die Herren erhoben sich, als sie Sarah kommen sahen. Der Tageszeit entsprechend, trug Sarah ein Kleid aus dunkelroter Seide, dessen Ärmel weit geschnitten waren und über die Ärmel der beigefarbenen Bluse fielen; ein fransenverzierter Schal aus ebenso beiger Seide komplettierte ihre Erscheinung. Du Gard war wiederum mit einer seiner bunten Samtjacken bekleidet, mit denen er in London fraglos Aufsehen erregt hätte, die hier jedoch niemanden zu stören schienen. In krassem Gegensatz zum illustren Äußeren des Wahrsagers stand sein Begleiter, der wie beim ersten Zusammentreffen einen schwarzen Gehrock trug, aus dessen Revers ein blütenweißer Kragen mit korrekt gebundener Schleife lugte.
»Schön, dass Sie hier sind, Sarah«, grüßte du Gard. »Wir haben bereits auf Sie gewartet.«
»Das ist wohl schwerlich möglich«, entgegnete Sarah ein wenig pikiert. »Monsieur, darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die aktuelle Uhrzeit lenken? Es ist exakt fünf.«
»Was habe ich Ihnen gesagt?«, wandte du Gard sich amüsiert an seinen Begleiter. »Britin durch und durch.«
»Es sieht ganz danach aus«, erwiderte der bärtige Mann, dessen Alter Sarah auf etwas über fünfzig schätzte. Er lächelte milde, während aus seinen Augen wieder jene Jugendlichkeit sprach, die Sarah schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war.
»Ich kenne Sie«, stellte sie fest. »Sie waren es, der mir die Einladung zum Varietébesuch überreicht hat, richtig?«
»Das stimmt.« Der Bärtige nickte. »Ich habe öfter an der Universität zu tun, deshalb bat mich Maurice um diesen Gefallen.«
»Vielleicht wäre dies der angemessene Zeitpunkt, um Sie einander vorzustellen«, meinte du Gard. »Jules – dies ist Lady Kincaid. Sarah – ich freue mich, Ihnen Jules Verne vorstellen zu dürfen.«
»Jules Verne?«, fragte Sarah nach, während sie verblüfft in die sympathischen Züge blickte, die ihr schon bei ihrem ersten Zusammentreffen seltsam vertraut erschienen waren. »Der Jules Verne?«
»Nun, es mag wohl sein, dass es noch mehr Menschen dieses Namens gibt, Lady Kincaid«, entgegnete der Vorgestellte und verbeugte sich höflich, »aber wenn Sie wissen möchten, ob ich jener Jules Verne bin, von dem allenthalben zu lesen ist, so muss ich Ihre Frage bejahen.«
»Jules Verne«, echote Sarah mit vor Staunen geöffnetem Mund und ließ sich in einen der goldbetressten Cordsessel fallen, worauf sich auch die Herren wieder setzten. »Der berühmte Schriftsteller …«
»Auch ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Lady Kincaid.« Verne lächelte wieder.
»A-aber nein, die Freude ist ganz meinerseits«, versicherte Sarah stammelnd. »Ich meine, es ist mir eine Ehre. Wissen Sie, dass ich ›Die Reise zum Mittelpunkt der Erde‹ acht Mal gelesen habe? Das Buch war einer der Gründe dafür, dass ich Archäologin werden wollte.«
»Ich fühle mich geschmeichelt. Wenngleich es mich überrascht, dass eine junge Frau wie Sie …«
»Ich habe alle Ihre Bücher gelesen«, versicherte Sarah begeistert. »Um ehrlich zu sein, konnte ich mit Romanen, die nur von Herzschmerz handeln, nie viel anfangen. Mich dürstete nach Abenteuern und exotischen Begebenheiten, und in Ihren Büchern fand ich beides zur Genüge. Allerdings hätte ich nie zu hoffen gewagt, Sie einmal persönlich kennen lernen zu dürfen.«
»Ich danke Ihnen, Lady Kincaid. Sie sind sehr großzügig.«
»Sarah«, verbesserte sie entgegen aller Etikette. Dass ausgerechnet jener Schriftsteller, den sie seiner Schöpferkraft und Erzählkunst wegen mehr bewunderte als jeden anderen, sie bei ihrem Adelstitel nennen wollte, erschien ihr unpassend. Zudem erinnerte sie Monsieur Verne in seiner besonnenen, ruhigen Art ein wenig an ihren Vater …
»Sarah.« Er nickte und lächelte ihr zu. »Auch mir ist es eine Ehre. Maurice hat mir viel über Sie erzählt.«
»Davon bin ich überzeugt.« Sie sandte du Gard ein säuerliches Lächeln. »Und sicher nur Gutes.«
»Wohl kaum«, widersprach du Gard trocken.
»Glauben Sie Maurice kein Wort«, riet Monsieur Verne. »Hinter all dieser Dreistigkeit verbirgt sich ein wertvoller Freund.«
»Ich werd’s mir merken«, versprach Sarah lächelnd. »Wie heißt es doch so schön? ›Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist‹. Wenn der gute Maurice Freunde wie Sie sein Eigen nennt, kann es um seinen Charakter nicht so schlecht bestellt sein.«
»Sie schmeicheln mir«, entgegnete Verne.
»Oui, und sie macht mir ein
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