Die Flamme von Pharos
hätte es mindestens gedauert, um von Orléans nach Marseille und von dort mit dem Schiff nach Malta zu gelangen.«
»Aber wie ist das möglich? Ich erinnere mich nicht …«
»Ich nehme an, dass man uns jedes Mal, wenn wir zu uns zu kommen drohten, sofort wieder betäubt hat. Zu den Mahlzeiten hat man uns zu essen gegeben und uns dazwischen immer wieder befragt.«
»Alors«, stöhnte der Franzose, »und ich wundere mich, dass mir der Schädel brummt. Wir können von Glück sagen, dass wir noch klaren Verstandes sind.«
»Ob das wirklich ein Glücksfall ist, wird sich zeigen«, erwiderte Sarah mit einem argwöhnischen Blick auf die menschlichen Überreste. »Ich teile deine Ansicht, dass wir nur aus einem einzigen Grund an diesen Ort gebracht wurden, nämlich, um vergessen zu werden …«
Wie um ihre Worte zu bestätigen, ließ sich erneut ein dumpfes Gurgeln vernehmen, und aus dem Salzwasserpfuhl schoss unvermittelt eine schäumende Fontäne, die nach allen Seiten zersprang.
»Das ist die Flut«, rief Sarah gegen das Tosen an, das plötzlich die Höhle erfüllte. »Sie wird die Grotte überschwemmen.«
»Du sprichst das sehr gelassen aus, chérie«, meinte du Gard, dem das wachsende Unbehagen anzusehen war. »Offen gestanden, verspüre ich wenig Verlangen danach zu ertrinken.«
»Das wirst du vielleicht auch gar nicht.«
»So? Und aus welchem Grund nicht?«
»Weil wir schon vorher Gesellschaft bekommen«, antwortete Sarah lakonisch und deutete mit dem Kinn auf den Boden der Höhle, der sich plötzlich zu bewegen schien.
Im Mondlicht, das in den Schacht einfiel, waren Myriaden kleiner, gepanzerter Körper zu erkennen, die sich auf acht Beinen seitwärts bewegten, während sie unablässig mit ihren Scheren klapperten.
»Krabben«, kommentierte Sarah mit vor Ekel gesenkten Mundwinkeln. »Normalerweise fressen sie nur Aas, das sich auf dem Meeresgrund absetzt, aber im Fall zweier Menschen, die gefesselt und wehrlos sind, werden sie auch eine Ausnahme machen.«
»Eine Ausnahme?« Du Gards Augen weiteten sich, sodass sie aus den Höhlen zu treten drohten. »Aber ich will keine Ausnahme sein. Ich habe kein Verlangen danach, bei lebendigem Leibe gefressen zu werden.«
»Unser anonymer Entführer schert sich offenbar nicht um deine Vorlieben«, konterte Sarah trocken. »Wenn die Krabben ihre Mahlzeit beendet haben, wird nichts mehr von uns übrig sein, und genau das will er. Nur aus diesem Grund hat er mich in das Geheimnis des Codicubus eingeweiht – weil er wusste, dass ich die Insel nicht mehr verlassen würde.«
»Dieser elende, impertinente …«
Was du Gard sagte, ging in einem neuerlichen Brausen und Gurgeln unter, als die Flut eine weitere Fontäne in die Höhle spie. Der Wasserspiegel des Pfuhls hob sich, schäumende Gischt überspülte den glattgewaschenen Fels und kroch auf die Gefangenen zu – ebenso wie die Krabben, von denen immer mehr aus der dunklen Tiefe quollen.
»Ich gestehe freimütig, dass ich diese Viecher schon wiederholt gegessen habe«, räumte du Gard ein, »aber das bedeutet nicht, dass ich auch von ihnen gefressen werden möchte.«
»Gleiches Recht für alle«, erwiderte Sarah, obwohl ihr nach allem anderen als Scherzen zumute war. Mit vor Abscheu geweiteten Augen starrte sie auf die Krustentiere, die nur noch wenige Schritte von ihr entfernt waren. Nicht mehr lange, und sie würden ihre Beine erreichen und daran heraufkriechen …
Wieder schoss Wasser aus dem Pfuhl, und diesmal war die Fontäne so gewaltig, dass sie Sarah und du Gard erreichte. Beide schrien, als der eisig kalte Schwall sie traf und ihre ohnehin schon spärliche Kleidung durchnässte, Salzwasser brannte in ihren Augen und nahm ihnen die Sicht. Dazu stieg der Pegel im Schacht sprunghaft an, sodass ihnen das Wasser plötzlich bis zu den Knöcheln reichte.
Die Krabben freilich ließen sich davon nicht beirren.
Du Gard war der Erste, den sie erreichten.
Der Franzose verfiel in bittere Verwünschungen, als er merkte, wie kleine Scheren nach seinen nackten Füßen tasteten und etwas den Versuch unternahm, an seinem rechten Bein emporzukriechen. Trotz der Fesseln um seine Fußgelenke gelang es ihm, die Ballen zu heben und so wenigstens einige der Angreifer zu zertreten.
»Hier, nehmt das«, rief er dazu, »ihr widerwärtige Ausgeburt der Tiefe! Ich werde euch zeigen, was es heißt, Maurice du Gard fressen zu wollen …«
Es war freilich ein aussichtsloses Unterfangen.
Auf ihren dünnen Beinen krochen die Tiere
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