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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Gelächter verfiel.
    »Warum lachen Sie?«, wollte Sarah wissen.
    »Weil Ihre Naivität mich amüsiert, Lady Kincaid. Sagen Sie, sind Sie mit der Geschichte der antiken Bibliotheken vertraut?«
    »Nur ein wenig«, räumte Sarah ein.
    »Haben Sie sich nie gefragt, warum sie alle in Flammen aufgegangen sind? Warum die antiken Quellen einstimmig darüber berichten, dass berühmte Bibliotheken wie die von Pergamon, von Antiochia, von Athen, von Rom, von Byzanz und sogar ein Teil jener von Alexandrien allesamt in feuriger Glut vernichtet wurden?«
    »Nein«, gab Sarah zu, worauf der Vermummte nur noch lauter lachte.
    »Können Sie in alldem kein Muster erkennen? Keine Fügung des Schicksals?«
    »An solche Dinge glaube ich nicht«, stellte Sarah klar. »Ich bin Wissenschaftlerin.«
    »Ich vergaß.« Das Haupt unter der Kapuze nickte wieder. »Als solche sind Ihnen wundersame Schicksalsfügungen natürlich ebenso verhasst wie alles andere, was Sie mit ihrem Kleingeist nicht zu erfassen vermögen – aber lassen Sie sich gesagt sein, dass die Geschichte mehr ist als eine Aneinanderreihung von Ereignissen und dass sie Geheimnisse birgt, die Sie zutiefst erschrecken würden. All diese Bibliotheken, Lady Kincaid, existieren nur aus einem Grund nicht mehr: Weil jemand nicht wollte, dass sie noch existieren.«
    »Warum nicht?«
    »Sehr einfach, Lady Kincaid – weil Wissen Macht bedeutet und die Menschen nicht zu viel erfahren dürfen. Wissen sollte allein jenen vorbehalten sein, die es weise zu nutzen verstehen.«
    »Was Sie nicht sagen«, knurrte Sarah. »Gehören Sie etwa auch zu denen, die fürchten, man könnte ihnen ihre Domäne streitig machen?« Sie lachte freudlos auf. »Ich muss gestehen, dass ich eurer allmählich überdrüssig werde.«
    »Sie wissen nichts, gar nichts«, beschied ihr der Vermummte höhnisch. »Durch Alexanders Verrat wurde die erste Bibliothek gegründet, der erste Versuch, denen das Wissen zu entreißen, die es über Jahrtausende gehütet haben. Von Alexandrien aus hat sich die Seuche weiter verbreitet. Eine Bibliothek nach der anderen entstand – und eine nach der anderen wurde vernichtet.«
    »Bis auf Alexandria selbst«, wandte Sarah ein.
    »In der Tat. Die Keimzelle des Verrats hat sich als äußerst zäh erwiesen, aber bald werden wir auch sie ausfindig gemacht und vernichtet haben – und Ihr Vater ist uns dabei behilflich.«
    »Träumen Sie weiter.« Sarah schüttelte ihren noch immer dröhnenden Kopf. »Mein Vater würde niemals etwas tun, das der Wissenschaft schaden könnte. Er hat sein Leben der Archäologie geweiht, der Erforschung der Wahrheit.«
    »Hehre Worte«, spottete der Vermummte, »und ich gebe Ihnen recht. Ihr Vater glaubt tatsächlich, im Auftrag der Wissenschaft zu handeln – in Wahrheit jedoch sind es andere, in deren Diensten er steht …«
    Er lachte erneut, und Sarah begann zu begreifen, dass ihr Vater in einer teuflischen Intrige verstrickt war. Im festen Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, lief Gardiner Kincaid Gefahr, all das zu verraten, woran er je geglaubt und wofür er je gearbeitet hatte.
    Mehr noch als je zuvor von dem Gedanken beseelt, ihn zu finden und zu warnen, zerrte Sarah an ihren Fesseln – aber es war nur ein hilfloses Aufbäumen, dessen einziger Erfolg darin bestand, dass das Leder noch tiefer in ihre Handgelenke schnitt.
    Der Vermummte schüttete spöttisches Gelächter über sie aus, während er in den Codicubus griff und die übrigen Schriftrollen hervorholte, die Hinweise auf die Bibliothek und ihre als verloren geltenden Schätze gaben. Achtlos warf er die Abschriften in die Kuhle der Stele, dann nahm er eine der Fackeln von der Wand.
    »Was tun Sie da?«, rief Sarah entsetzt.
    »Was getan werden muss«, erklärte der Vermummte, »was mir aufgegeben wurde von jenen, die das geheime Wissen hüten.« Damit senkte er die Fackel und setzte die Schriftrollen in Brand.
    »Nein!«, schrie Sarah, als sie die Verzeichnisse in Flammen aufgehen sah. »Das dürfen Sie nicht tun! Die pinakes sind für die Archäologie von unschätzbarem Wert …«
    »Deshalb werden sie vernichtet«, gab der Hüne ihr zur Antwort.
    Mit aller Kraft stieß Sarah sich von dem Steinthron ab, und es gelang ihr tatsächlich, auf die Beine zu kommen. Benommen tat sie ein, zwei Schritte, dann gaben ihre Knie nach, und sie brach zusammen.
    Das Letzte, was sie sah, ehe der Schmerz und die Erschöpfung sie übermannten und es erneut dunkel wurde, war das Gesicht im Schatten der

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