Die Flamme von Pharos
die Richtung, in die der Wahrsager deutete. In der Mitte der Bucht gab es eine Stelle, an der die dunkle Fläche der See in Bewegung geraten war. Das Wasser sprudelte dort, als würde es kochen, und im nächsten Augenblick schoss eine Fontäne empor, die im letzten Licht des Tages glitzerte und Sarah an einen Walfisch denken ließ. Tatsächlich konnten sie im Wasser plötzlich Formen ausmachen, die tatsächlich denen eines großen Meerestieres entsprachen, vom bulligen Haupt über den mächtigen Rumpf bis hin zur breiten Schwanzflosse. Von der Mitte des riesigen Gebildes aus schienen ihnen leuchtende Augen entgegenzuglotzen – und einen Herzschlag später durchstieß der Koloss aus der Tiefe die Meeresoberfläche.
Das Erste, was zum Vorschein kam, war ein oval geformter Turm aus vernietetem Stahl, in den kreisrunde, von innen beleuchtete Bullaugen eingelassen waren – die »Augen«, die Sarah und du Gard eben noch von unter Wasser angestarrt hatten. Im nächsten Moment wurde auch der Rest des riesigen Gebildes sichtbar, und Sarah und ihr Begleiter konnten nicht anders, als beeindruckt zu sein.
»C’est incredible«, murmelte du Gard.
»Beim Heiligen Georg«, entfuhr es Sarah.
Die Gesamtlänge von Hectoire Hulots erstaunlicher Erfindung mochte fünfzig oder sechzig Yards betragen. Die Außenhülle bestand aus Stahl, der jedoch an keiner Stelle Rost angesetzt zu haben schien; fast nahtlos schienen die Platten miteinander verbunden zu sein und formten einen riesigen Körper, der dem eines Fisches nicht unähnlich war: Der Bug war konisch geformt, mit einem Buckel auf der Oberseite, der, so nahm Sarah an, dazu diente, dem Submarin beim Tauchen mehr Lastigkeit zu verleihen. Die walzenförmige Mittelsektion des Unterseebootes, die sich zum Ende hin leicht verjüngte, trug den Turm auf ihrem breiten Rücken; ansonsten schien die Außenhülle völlig glatt zu sein und weder Bullaugen noch Schotten zu besitzen. Ein gutes Stück vor dem Turm, etwa dort, wo sich bei einem Fisch die Brustflossen befanden, waren Tiefenruder im Wasser zu erkennen.
Während die Gesamtkonstruktion des Submarins damit im Großen und Ganzen der Anatomie eines Fisches nachempfunden war, fand sich am Heck der wohl augenfälligste Unterschied zwischen beiden. Das Unterseeboot verfügte nämlich nicht über eine, sondern gleich über zwei Schwanzflossen, die einander senkrecht kreuzten und ein weiteres Tiefenruder sowie die Antriebsschraube zu beherbergen schienen.
»Alors«, knurrte du Gard halblaut. »Ich frage mich, ob das verdammte Ding unter Wasser schaukelt …«
Sarah indes war sprachlos. In ihrer Jugend hatte sie sich stets gefragt, wie es sein mochte, einem der in Jules Vernes Romanen beschriebenen technischen Wunderwerke gegenüberzustehen – in diesem Augenblick war es so weit, und das Gefühl war unbeschreiblich, schwankte zwischen Euphorie und Ehrfurcht.
Wie gebannt starrte sie auf den stählernen Koloss, der sich gegen den dunkler werdenden Himmel abzeichnete und an dessen gedrungener Form das Wasser plätschernd abtropf. Ein metallisches Geräusch erklang, und im nächsten Moment waren oben auf dem Turm die Silhouetten mehrerer Männer zu erkennen. Über in die Turmwandung eingelassene Stufen kletterten sie auf das schmale Deck des Submarins, in den Händen eine längliche Kiste, die sie abstellten und öffneten. Was sie daraus entnahmen, konnte Sarah zunächst nicht erkennen, aber dann wurde ein Blasebalg betätigt, und kurz darauf lag eine Art Floß auf dem Vordeck des Submarins, das aus mit Luft gefüllten Kammern zu bestehen schien.
Es wurde zu Wasser gelassen, und drei Mann gingen an Bord und paddelten zum Ufer herüber. Da die See ruhig war und es kaum Wellengang gab, erreichten sie die Felsen ohne Schwierigkeit. Die Männer kamen an Land, und ein bärtiger Fahrensmann in einer abgetragenen grauen Arbeitsuniform trat auf Sarah zu.
»Lady Kincaid?«, erkundigte er sich forschend.
Sarah nickte.
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Der Bärtige entblößte seine Zähne zu einem breiten Grinsen. »Capitaine Hulot erwartet Sie an Bord seines Schiffes.«
»Demnach sind Sie nicht Hulot?«, erkundigte sich du Gard wenig geistreich.
»Kaum.« Der Uniformierte wandte sich ihm zu und streckte ihm eine ölverschmierte Pranke entgegen. »Mein Name ist Caleb. Ich bin Erster Maat an Bord der ›Astarte‹ und habe den Befehl, Sie überzusetzen.«
»Der ›Astarte‹?«, fragte Sarah erstaunt und nahm du Gard damit aus
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